Berlin. Zwei Sorgen treiben die deutsche Politik derzeit um: die Knappheit des Impfstoffes gegen das Coronavirus und die Ausbreitung des mutierten Erregers, der zuerst in Großbritannien und Südafrika aufgetaucht war. So droht ein regelrechtes Wettrennen zwischen Impfkampage und der schnelleren Infektion durch die Mutation.
Zuletzt gab es immerhin gute Nachrichten in Sachen Impfstoff: So legt eine - bisher noch nicht gegengeprüfte – Studie nahe, dass der Impfstoff der Firmen von Biontech und Pfizer auch vor der Mutation schützt. Die Laborstudie hatten Forscher von Pfizer und der University of Texas durchgeführt.
Außerdem soll der in der EU zugelassene Biontech-Impfstoff für mehr Menschen reichen als bisher gedacht: Seit Freitagnachmittag kann aus den gelieferten Ampullen mehr von dem schützenden Serum entnommen werden – wenn auch nur mit Spezialspritzen. Die Mengen könnten sich so um bis zu 20 Prozent steigern, teilten die europäische Arzneimittelbehörde EMA und das deutsche Gesundheitsministerium mit.
Politiker in Sachsen fordern Bevorzugung
Außerdem hat sich die EU bis zu weitere 300 Millionen Dosen Biontech-Impfstoff bei der Mainzer Firma gesichert. 75 Millionen davon sollten bereits bis Ende Juni zur Verfügung stehen, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Brüssel. Von den bereits zugelassenen Mitteln von Biontech sowie dem US-Unternehmen Moderna hat die EU sich mittlerweile 760 Millionen Einheiten gesichert. Damit könnten mehr als 80 Prozent der EU-Bevölkerung geimpft werden.
Wie geplant ausgeliefert wurden laut Gesundheitsministerium am Freitag in Deutschland die angekündigten neuen 667.875 Biontech-Impfdosen. Die Lieferung erfolge über Biontech direkt an die 27 Anlieferzentren der Länder.
Zugleich wächst die Sorge, dass der mutierte und dadurch ansteckendere Erreger sich in Deutschland schneller verbreitet, als ein Impfschutz aufgebaut werden kann. Im derzeit größten Corona-Hotspot Sachsen, wo die Mutation bereits festgestellt wurde, fordern Politiker deshalb bereits eine Bevorzugung beim Erhalt des Impfstoffs.
Mehr Tests gefordert
Die deutschen Städte und Gemeinden beobachten die Entwicklung mit Sorge: "Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Das zeigen uns neue Herausforderungen wie die durch Mutationen des Erregers”, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, dieser Redaktion. "Für uns kann das nur heißen, wir müssen alle unsere Kontakte konsequent auf ein Minimum reduzieren.”
Der Städte- und Gemeindebund sieht zwar ebenfalls die Gefahr der schnelleren Corona-Ausbreitung, bislang aber keine Notwendigkeit für weitere Einschränkungen in den Kommunen. "Wir haben im Moment einen strengen Lockdown, der hoffentlich bald dazu führen wird, dass die Infektionszahlen sinken”, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dieser Redaktion.
"Wichtig wäre allerdings, dass in Deutschland in viel größerem Umfang analysiert wird, ob bei einer positiven Testung bereits die mutierte Variante festgestellt werden kann”, betonte er. "Das ist allerdings keine Aufgabe der Kommunen, sondern muss durch eine entsprechende Ertüchtigung der Labore organisiert werden. Im Vordergrund muss jetzt stehen, die Impfkapazitäten weiter auszubauen und möglichst schnell möglichst viele Menschen zu impfen.”
Schriftlicher Hilferuf an Pharmalobby
In den Krankenhäusern befürchtet man bereits, dass die Mutation hinter der schnellen Corona-Ausbreitung dieser Tage steckt. "Infektionszahlen von über 30.000 geben natürlich auch Anlass zur Sorge, dass die Mutation des Virus mit erhöhter Ansteckungsrate bei uns schon verstärkt auftritt”, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, dieser Redaktion. "Wenn sich diese Mutation tatsächlich bei uns mit einer ähnlichen Geschwindigkeit wie in Großbritannien ausweitet, stehen wir vor sehr schwierigen Wochen mit anhaltenden und scharfen Kontaktbeschränkungen.”
Gaß betonte, gerade deshalb sei es wichtig, nun schnellstmöglich die Impfungen zu verstärken. "Gerade auch für die Mitarbeiter in den Kliniken brauchen wir ausreichende Mengen, um umfassen Impfangebote unterbreiten zu können”, sagte er.
Wegen des akuten Engpasses bei der Versorgung mit Impfstoff gegen die Corona-Pandemie hat sich das Bundesgesundheitsministerium inzwischen sogar mit einem schriftlichen Hilferuf an die Pharmalobby gewandt. "Angesichts der angespannten pandemischen Lage ist unser gemeinsames Bestreben, die Produktionskapazitäten von Impfstoffen für die Eindämmung der Covid-19-Pandemie weiter zu erhöhen. Aus diesem Grund bitte ich Sie um Unterstützung”, heißt es in dem von Gesundheitsstaatssekretär Thomas Steffen unterzeichneten Schreiben an fünf Pharma-Verbände, das dieser Redaktion vorliegt.
"Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilen könnten, ob es in Ihrem Verband Unternehmen gibt, die zu einer Erhöhung der Produktion von Covid-19-Impfstoffen beitragen können oder sich bereits hierum bemühen”, so das Schreiben weiter. Es wurde unter anderem an den Bundesverband der Arzneimittelhersteller, den Bundesverband der pharmazeutischen Industrie und den Verband forschender Arzneimittelhersteller geschickt.
"Ich danke für kurzfristige Rückmeldungen, die es uns schnell ermöglichen, hier gemeinsam tätig zu werden”, schließt der Staatssekretär von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Spahn steht wegen des schleppenden Starts der Impfkampagne unter Druck. Vor allem vom eigenen Koalitionspartner SPD kommt zum Teil harsche Kritik am Krisenmanagement des Gesundheitsministers.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte auf Anfrage, der Brief an die Pharmaindustrie sei "gut und notwendig”, komme aber zu spät. "Warum eine solche Anfrage für pragmatische Lösungen zur Steigerung der Produktionskapazitäten nicht bereits vor einem halben Jahr ergangen ist, bleibt erklärungsbedürftig”, so Schneider.
"Das Impfen muss ein Erfolg werden”, forderte der SPD-Politiker. "Je schneller der Impfstoff in den notwendigen Mengen bei den Impfzentren der Länder ankommt, desto eher können wir beginnen, zur Normalität zurückzukehren.”