Genf (clu). Während unter anderem in Deutschland die Impfungen gegen das Coronavirus begonnen haben, breitet sich die zuerst in Großbritannien entdeckte neue Variante des Coronavirus weltweit aus. Nun hat die Mutation auch Südkorea erreicht. Zahlreiche europäische Länder haben bereits das Auftreten der in Großbritannien entdeckten Virus-Variante gemeldet.
Auch in Kanada, Japan und Jordanien wurden einzelne Infektionsfälle mit der Mutation nachgewiesen. Experten befürchten, dass die Variante deutlich ansteckender sein könnte als die Ursprungsform des Coronavirus. Die Schweizer Virologin Isabella Eckerle, Professorin an den Unikliniken in Genf, fordert daher einen europaweiten Lockdown.
"Das gefährdet den Erfolg"

Der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) am Sonntag sagte sie: "Wenn die einen lockern, während die anderen verschärfen, gefährdet das den Erfolg des Lockdowns in einem anderen Land." Die Virologin, die auch beim Labor Drosten gearbeitet hat, erklärte gegenüber der NZZ am Sonntag weiter: „In einem Europa mit offenen Grenzen funktioniert die Pandemiebekämpfung nur so gut, wie es das Land hinbekommt, das es am schlechtesten macht." Es brauche deshalb rasch eine gemeinsame Strategie zur Senkung der Fallzahlen. „Letztlich läuft das auf einen europaweiten Lockdown hinaus."
Das Coronavirus respektiere keine Landesgrenzen, erklärte sie. „Wollen wir gut durch die nächsten Monate kommen, müssen jetzt alle Länder an einem Strang ziehen." Alle Länder müssten ähnliche Maßnahmen ergreifen, um das Virus einzudämmen.
Bereits an Heiligabend hatte Eckerle bei Twitter geschrieben: "Ich weiß, dass dies wahrscheinlich mein unbeliebtester Tweet 2020 sein wird: Aber angesichts dieser Daten sollte sich die geografische Region Europas (nicht nur die EU) auf einen koordinierten, vollständigen Lockdown vorbereiten.
"Es wird ein Fehler sein"
Dazu verlinkte die Virologin eine Modellrechnung des Centre for the Mathematical Modelling of Infectious Diseases (CMMID) an der London School of Hygiene & Tropical Medicine, nach der die neue Virusvariante ungefähr 56 Prozent ansteckender ist als frühere Formen. Wenig später twitterte sie: "Es wird ein Fehler sein, zunächst auf eine detaillierte Bestätigung des Vorhandenseins der UK-Variante aus den verschiedenen Ländern zu warten, bevor die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Dieses Virus ist uns immer ein paar Schritte voraus." Wenige Stunden später war die neue Mutation auch in der Schweiz entdeckt worden.
„Die meisten Länder haben bereits die Grenze des Gesundheitssystems, der Intensivstation, der Labortests, der Rückverfolgung von Infektionen erreicht", sagte Eckerle. „Eine übertragbarere Variante wird im Januar und Februar zu einer Tragödie führen." Der Wochenzeitung Die Zeit hatte Eckerle in einem Interview gesagt: "Meine größte Angst ist, dass wir anfangen zu impfen und im gleichen Moment alle Maßnahmen fallen lassen, sodass es zu einer dritten oder vierten Welle kommt. Ich wünsche mir, dass nach dem Winter die meisten so sensibilisiert sind, dass wir diese Übergangsphase gut hinkriegen – auch wenn sie sich noch über das nächste Jahr ziehen sollte."
Eckerle ist auch eine von mehr als 850 Unterzeichnern eines Aufrufs europäischer Wissenschaftler zu einem europaweiten Engagement für eine rasche und nachhaltige Reduzierung des Coronavirus. Der Aufruf war zuerst in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht worden, ist aber mittlerweile auch auf einer eigenen Webseite zu finden. In dem Aufruf heißt es unter anderem: "Wenn die europäischen Regierungen jetzt nicht handeln, sind weitere Infektionswellen zu erwarten, die sich nachteilig auf Gesundheit, Gesellschaft, Arbeitsplätze und Unternehmen auswirken."
Gemeinsame Ziele der Länder
Bei offenen Grenzen in ganz Europa könne ein einzelnes Land allein die Anzahl der Covid-19-Fälle nicht niedrig halten. Gemeinsames Handeln und gemeinsame Ziele der Länder seien daher unabdingbar. "Wir fordern daher eine starke, koordinierte europäische Reaktion und klar definierte mittel- und langfristige Ziele." Auch Christian Drosten, Chef-Virologe der Berliner Charité, sowie Lothar Wieler, Präsident des RKI, haben den Aufruf unterzeichnet.
Heiligabend war auch in Deutschland der erste Fall der neuen Coronavirus-Variante gemeldet worden. Bei einer Frau, die am 20. Dezember aus Großbritannien nach Baden-Württemberg einreiste, wurde die mutierte Variante B.1.1.7 festgestellt. Der Chef des Impfstoffherstellers Biontech, Ugur Sahin, erklärte in der vergangenen Woche, dass sein Präparat sehr wahrscheinlich auch gegen die neue Variante wirke. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dagegen sprach bei Twitter davon, dass zu hohe Fallzahlen dazu führen könnten, "dass noch Mutationen entstehen, gegen die unsere jetzigen Impfungen nicht mehr wirken".
Mit Material von AFP und dpa