Glosse

Vom Haferschleim zur Hafer-Couture – eine kulinarische Verklärung

Vom Haferschleim zum Luxus-Frühstück für sieben Euro – warum alte Küchen-Klassiker jetzt cool und sauteuer sind. Spoiler für unsere Glosse: Omma ist not amused!

Overnight Oats: Vom altmodischen Haferschleim zum stylischen Frühstücks-Statement. | © haaijk/Pixabay

Christian Lund
30.07.2025 | 15.09.2025, 13:25

Es gab eine Zeit – nennen wir sie „vor Instagram“ – da war Haferschleim etwas, das nur Ommas mit Wärmflasche und Verdauungsproblemen aßen. Und für uns war das Zeug eher Marke „bäh!“. Heute aber? Ein kleines Weckglas, zart befüllt mit „Overnight Oats“, garniert mit Bio-Blaubeeren, Goldflitter und einem Löffel Mandelmus aus kontrolliertem Anbau – kostet gerne mal sieben Euro. Haferschleim ist tot, lang lebe der Hafer-Chic!

Es ist schon erstaunlich, wie sich die Wahrnehmung ändert, wenn man alten Gerichten ein neues Gewand überzieht – vorzugsweise eins mit englischem Etikett. Das Butterbrot zum Beispiel: früher eine trockene Scheibe mit gesichtsloser Wurst. Heute heißt das „Open-Faced Sandwich“, idealerweise serviert auf handgezogenen Sauerteigscheiben mit Avocadofächer und Mikrogrün. Dazu ein pochiertes Ei, das auf dem Brot ruht wie ein Influencer auf Bali – einfach makellos.

Auch der gute alte Eintopf hat sein Gulasch-Image abgelegt und geht nun als „One Pot Meal“ durch. Der Trick ist simpel: Man ersetzt Mettwurst durch Süßkartoffel, wirft noch ein paar geröstete Kichererbsen obendrauf und serviert das Ganze in einer Steingutschale mit grobem Rand. Voilà – der ehemalige Reste-Eintopf ist jetzt ein Statement!

Pellkartoffeln mit Quark? Früher Inbegriff von Verzichtsdiät, heute „Baked Potatoes mit Herbed Greek Yogurt Dip“, verfeinert mit Sprossen, die in urbaner Hydrokultur gewachsen sind.

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Antioxidantien! Detox! Immortality!

Und dann ist da natürlich Kale – Grünkohl, aber mit Heiligenschein. In den USA wird das Zeug gefeiert wie ein Supermodel mit Vitamin-C-Fimmel: roh, entsaftet, fermentiert, in Chipsform, als Smoothie oder auf der Bowl mit Quinoa-Quark. Antioxidantien! Detox! Immortality!

Währenddessen fragt man sich in Ostwestfalen gottlob noch immer das Wesentliche: „Mit Pinkel, mit Kasseler – oder doch lieber mit lippischer Kohlwurst?“ Smoothies kommen hier höchstens aus der Motorsäge. Und solange Grünkohl nicht „gedämpft“, sondern „kaputtgekocht“ serviert wird, ist die Welt noch in Ordnung.

Weit weg von Ommas Wintervorrat

Sauerkraut, das einst in der muffigen Speisekammer vor sich hin gärte, erlebt als „fermentiertes Superfood“ sein Comeback. Kombucha, Kimchi, fermentierter Knoblauch – das klingt nicht mehr nach Ommas Wintervorrat, sondern nach Detox-Wellness-Retreat in Kalifornien.

Grießbrei, Rührei, Buttermilch – alles wurde umetikettiert, neu erfunden und natürlich teurer. Man isst nicht mehr satt, sondern bewusst. Und das möglichst fotogen.

Vielleicht ist das auch der Kern dieser Küchen-Kur: Aus schlichter Hausmannskost wird ein Lifestyle-Statement. Was früher „arme Leute-Essen“ war, ist jetzt Teil eines gesunden, nachhaltigen, bewussten Lebensstils.

Aber seien wir ehrlich: Es schmeckt oft noch genauso wie früher. Nur eben mit Chiasamen und – leider inzwischen – ohne Omma.