
Essen, schlafen, arbeiten – und das alles im ICE auf Deutschlands Bahnstrecken. Das Leben des 17-jährigen Lasse Stolley spielt sich seit zwei Jahren hauptsächlich in Bahnhöfen und Zügen ab. Ein Leben, das er sich mit 16 Jahren selbst ausgesucht hat. Er ist nicht obdachlos, er fährt nur gerne Zug und will was sehen von Deutschland. Wegen der Streiks muss er seine Routen derzeit allerdings nach dem Notfallfahrplan der Deutschen Bahn ausrichten. Einfach ist das nicht.
Während des Telefonats mit dieser Redaktion ist Stolley gerade am Bahnhof in Frankfurt. Sein nächstes Ziel liegt im Norden in der Stadt Hamburg, wo in der kommenden Nacht der einzige Nachtzug der Deutschen Bahn abfahren soll. Diesen muss der Software-Entwickler unbedingt erreichen, da er sonst die Nacht nicht wie gewohnt im Zug verbringen kann. Das Kuriose dabei ist: Dieser Zug – wenn er denn fährt – bringt ihn wieder zurück nach Frankfurt.
„Ich bin schon sehr erfahren, was die Streiks der Bahn betrifft“, sagt der 17-Jährige. „Aktuell ist es aber kompliziert.“ Er versuche immer, die Nachtzüge zu bekommen, die laut Notfallfahrplan der Deutschen Bahn auch während der Streiks fahren sollen. Das funktioniert aber nicht immer. Beim Streik in der vergangenen Woche musste er auf die Flughäfen in Frankfurt und in Berlin ausweichen. „Dort zu schlafen ist aber sehr unbequem“, sagt Stolley.
Der Schlafplatz ist eine Herausforderung
Das Schlafen sei sowieso eine der größten Herausforderungen beim Leben im Zug. „Mit ein wenig Übung gelingt das aber auch“, sagt er. Zum Schlafen sucht er sich deshalb gerne einen der wenigen Nachtzüge. Manchmal schläft er auch für eine Nacht bei seiner Familie oder bei Freunden. Das ist aber eher die Seltenheit.
Er kommt mit wenigen Dingen aus, da er beim Umsteigen, beim Wandern oder Spazierengehen nicht viel Gepäck mit sich schleppen möchte. Das Nötigste an Kleidung, Hygieneartikeln, Technik und nützlichen Gegenständen wie eine Trinkflasche oder eine Decke passen alle in einen Rucksack.
Volle Züge meidet er und geht bei hoher Auslastung lieber noch eine Runde durch die Stadt. Durch seine BahnCard 100 kann er in der 1. Klasse reisen. Nur beim Duschen stößt die Ausstattung der ICEs an ihre Grenzen. Lieber duscht er in nahegelegenen Schwimmbädern. Manchmal geht er dort auch noch eine Runde schwimmen.
Zeitfahrpläne muss er nicht einhalten
Über die Unpünktlichkeit der Bahn kann Stolley auch außerhalb der Streiks viel erzählen. „Die Bahn ist schon sehr unzuverlässig“, sagt er. „Zum Glück betrifft mich die Pünktlichkeit der Bahn aber nicht so enorm.“ Da er keine genauen Ziele ansteuert, könne er auch einfach einen anderen Zug nehmen, wenn es mal zu einer Verspätung kommt. Manchmal sei er aber schon verärgert über die Unpünktlichkeit der Bahn. Vor allem, wenn er an einem Bahnhof strandet, wo er eigentlich gar nicht hin wollte.
Finanzieren kann er sich dieses Leben durch seinen Job als Softwareentwickler in einem IT-Start-up-Unternehmen. Beim Programmieren sei eine intakte Internetverbindung auch nicht immer nötig, weshalb er seine Arbeit auch während der Bahnfahrt gut erledigen kann.
Das Programmieren hatte er sich während der Corona-Pandemie selbst beigebracht, weshalb er mit 17 Jahren die Freiheit hat, jeden Tag über seinen Arbeitsplatz neu entscheiden zu können. Deutschland kennenzulernen. Das war die Idee, weshalb er überhaupt anfing, im ICE zu reisen und zu leben.
Alle Routen hält er in seinem Online-Blog fest
„Ob ich Deutschland über einen Städteaufenthalt zwischendurch oder über das Herausschauen aus dem Zugfenster kennenlerne, ist mir erst einmal nicht wichtig“, sagt der „Digitale Nomade“. So nennt sich Stolley auf seinem Blog, auf dem er auch über seine Etappen und Routen berichtet.
Lange an einem Ort bleiben, fühle sich für ihn fremd an. Während einer Reisepause nach einer OP im vergangenen Jahr bekam er das deutlich zu spüren. Drei Wochen lebte er bei seinen Eltern, um sich zu schonen. Aber der Freiheitsdrang übermannte ihn, und so begab er sich danach wieder auf die Reise durch Deutschland.
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Auch in Ostwestfalen-Lippe war er auf seiner Reise schon mal. Im Februar 2022 war sein Zeil das Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Ein Ende seiner Reise ist bei Lasse Stolley noch nicht in Sicht: „Ich höre auf, wenn es mir keinen Spaß mehr macht oder wenn mir eine Weltreise dazwischen kommt“, sagt er und lacht. Er habe aber noch eine lange Liste von Orten in Deutschland vor sich, die er besuchen möchte.