Jugendforscher Klaus Hurrelmann: „Die AfD punktet in der jungen Generation“

Herr Hurrelmann, nachträglich herzlichen Glückwunsch. Sie sind im Januar 80 geworden. Wie haben Sie gefeiert? Klaus Hurrelmann: Vielen Dank! Wir haben in großer Gesellschaft gefeiert. Es waren ungefähr 200 Gäste in der Hertie School in Berlin, unter anderem Freunde, Familie und Weggefährten aus der Forschung. Sie haben zwei Kinder, sechs Enkel und drei Urenkel. Stellen Sie in Ihrer Familie manchmal fest, was einigen Personalabteilungen inzwischen übel aufstößt: die Sehnsucht der Jugend nach weniger Arbeit? Nein, eigentlich gar nicht. Es wird ja gerne plakativ behauptet, die Generation Z sei faul. Ist das so? Zu meinen Aufgaben als Forscher gehört es, mit genau solchen Missverständnissen aufzuräumen. Die Alterskohorte, die Sie ansprechen, ist nicht faul. Wer ab ungefähr Mitte der 1990er Jahre geboren wurde, hat höhere Ansprüche an den Beruf. Man legt größeren Wert auf persönliche Gesundheit, auf einen Ausgleich neben der Arbeit, und das aus guten Gründen. Die großen Krisen unserer Zeit – die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel – haben vor allem die Lebenswelt junger Menschen geprägt. Das Sicherheitsgefühl hat gelitten? Die Erfahrungen von existenzgefährdenden Krisen tragen so etwas wie eine Grundverunsicherung in die junge Generation hinein. Sie führen zu einer hohen Sensibilität, manchmal zu einer Übersensibilität. Sie sind im Kriegswinter des Jahres 1944 geboren. Ihre Generation hat harte Zeiten erlebt. Was sagen Sie jenen, die schimpfen, dass die heutige Jugend weniger lamentieren sollte? Die Zuschreibung &bdquo;verweichlichte Jugend“ ist uralt, ein Klassiker. Aus meiner oder der Generation der Babyboomer gibt es oft Kritik an jungen Menschen. Ich finde sie meistens überzogen, weil man nach den Gründen fragen muss. Allerdings vermisse auch ich bei Kindern und Jugendlichen manchmal Widerstandsfähigkeit. Man muss im Leben auch mal die Zähne zusammenbeißen können. Die Gefühlswelt junger Menschen scheint aufgewühlt: Ihrer Studie zur &bdquo;Generation Dauerkrise“ zufolge berichten 27 Prozent der Befragten von einer Depression und sieben Prozent von Suizidgedanken. Haben die Ergebnisse Sie erschreckt? Durchaus. Die drei größten Belastungen für junge Menschen sind Stress, Antriebslosigkeit und Erschöpfung. Viele der Befragten wünschen sich professionelle Unterstützung und Hilfe zur Stressbewältigung, auch in der Schule. Positiv gesagt, gibt es inzwischen eine größere Sensibilität für mentale Gesundheit. Psychische Belastungen werden gesamtgesellschaftlich ernst genommen, was ich sehr begrüße. Welche pädagogische Aufgabe ergibt sich aus Ihren Erkenntnissen? Wir müssen junge Leute sehr viel intensiver vorbereiten auf eine Welt, die von multiplen Krisen geprägt ist und die verlangt, dass man anpackt. Lassen Sie mich aber eines klar herausstellen: Unsere Erkenntnisse gelten nie für alle Mitglieder einer Kohorte. Einige Jüngere sind ja sehr gestärkt aus der Pandemie herausgekommen, mit größerer Selbstständigkeit. Nach den größten Sorgen gefragt, gibt fast jeder zweite junge Mensch die Spaltung der Gesellschaft an. Wie anfällig ist die krisengeplagte Jugend selbst für rechtsextreme Weltanschauungen? An dieser Stelle waren Jüngere bislang immun. Das hat sich geändert. Wir stellen fest, dass eine Partei wie die AfD in der jungen Generation kräftig punktet. Ungefähr zehn Prozent der jungen Leute sind nationalistisch, autoritär, rechtsradikal orientiert. Da hat die AfD leichtes Spiel. Infolge von Corona sehen wir zudem eine wachsende Zahl an jungen Menschen, die das Gefühl haben, sie können ihr Leben nicht kontrollieren. Und die Regierung hilft ihnen nicht. Sie fühlen sich ganz allgemein von der Politik vernachlässigt. Tatsächlich standen die Interessen junger Leute während der Pandemie nicht im Mittelpunkt. Das wird den Mächtigen angekreidet. Die AfD geriert sich vor diesem Hintergrund als Kümmerer. Außerdem ist sie digital die modernste Partei. Da sollten die anderen dringend nachlegen. Es geht doch schon früher los. Was raten Sie Eltern, wo beginnt die Verantwortung von Lehrerinnen und Lehrern? Kinder sollten unbedingt lernen, sich auseinanderzusetzen, ob in der Familie oder in der Schule. Sie sollten lernen, sachliche Positionen zu vertreten und zu tolerieren, dass es andere Meinungen gibt. Die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Menschen sollten im Vordergrund stehen – gelebte Demokratie eben. Sollte man mit Kindern auf Demonstrationen gehen? Grundsätzlich ja, ich wäre aber trotzdem vorsichtig. Das Kind sollte nachvollziehen können, worum es geht. Erregte eine Ihrer Forderungen mehr Kritik als die nach einem Wahlrecht mit vierzehn Jahren? Nein (lacht). Als ich in den 90er Jahren das Wahlalter von 16 vorgeschlagen hatte, waren auch viele empört. Inzwischen ist es längst in die Praxis übergegangen. Manche Diskussionen brauchen eben ihre Zeit. >>> Lesen Sie auch unser Pro & Contra: Pro: Mit Kindern zur Demo – wann, wenn nicht jetzt? Contra: Demonstrationen gegen Rechtsextreme sind kein Ort für Kinder

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