Radioaktive Strahlung: Was Putins Angriff für Tschernobyl bedeutet

Bei der Invasion Russlands in der Ukraine ist auch der frühere Atomreaktor Tschernobyl nahe der Grenze zu Belarus ins Kreuzfeuer geraten. Russische Truppen haben die Zone, in der noch immer erhöhte Radioaktivität herrscht, eingenommen. Experten fürchten um die Sicherheit der Anlage, die bei einer Explosion 1986 weite Teile Europas mit radioaktivem Fallout überzog. War sie beim Einmarsch der Truppen nur ein weiteres Ziel oder hat der russische Präsident Wladimir Putin Pläne für das lange stillgelegte Kraftwerk, das erst vor wenigen Monaten einen neuen Schutzmantel bekommen hat, den sogenannten Sarkophag? Könnte es vielleicht sogar als zusätzliche nukleare Drohkulisse verwendet werden?Immerhin hatte Putin jedem, der im Konflikt mit der Ukraine interveniere, schwerste Folgen angedroht. Man sei zu allem bereit, sagte er in einer Fernsehansprache. Russland verfügt über Atomwaffen. Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nannte die Eroberung von Tschernobyl "eine der ernsthaftesten Bedrohungen für Europa". Sicher ist bisher nur: Verlässliche Informationen über die Situation in Tschernobyl sind schwer zu bekommen. Er könne keine weiteren Einzelheiten nennen, da das Personal der Anlage evakuiert worden sei, sagte Alexander Grigoratsch von der ukrainischen Atomaufsicht der Nachrichtenagentur AFP. Allerdings wurden nach Angaben der Ukraine im Bereich des Reaktors erhöhte Strahlenwerte gemessen. In der Sperrzone sei am Freitagmorgen ein "Anstieg der Indikatoren über die Kontrollniveaus hinaus" festgestellt worden, sagte Grigoratsch. Was ist die Ursache für die erhöhten Werte? Eine Karte, die das Ukrainische Parlament am Freitag bei Twitter veröffentlichte, zeigt Messstationen rund um den Reaktor. Und auch, dass Grenzwerte teils überschritten sind. Unklar ist bisher, warum sie das an manchen Orten sind, an anderen wiederum nicht. Data from the automated radiation monitoring system of the exclusion zone, which is available online, indicate that the control levels of gamma radiation dose rate (red dots) have been exceeded at a significant number of observation points. pic.twitter.com/G4WEGgkMcT Verkhovna Rada of Ukraine (@ua_parliament) February 25, 2022 Das Problem: Wegen der Besetzung der Anlage durch die russische Armee sei es derzeit nicht möglich, die Gründe für die Veränderung zu ermitteln. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums sagte hingegen, die Strahlungswerte lägen im "normalen" Bereich. Man habe mit einem Bataillon ukrainischer Sicherheitskräfte vereinbart, die Sicherung der Anlage gemeinsam zu gewährleisten. Auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sagte, die gemessenen Werte seien nicht gefährlich. Angelika Claußen beobachtet die Situation mit großer Sorge. Die Bielefelderin ist Co-Vorsitzende des Vereins Internationale Ärzt:innnen für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), hat unter anderem zur Strahlung in Tschernobyl und Fukushima geforscht und setzt sich für nukleare Abrüstung ein. Sie sagt: "Das ist ein Angriffskrieg, und den verurteilen wir aufs Allerschärfste." Der IPPNW ist unter anderem für den UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen verantwortlich, der seit 2021 gilt, dem sich aber bisher keine der Atommächte angeschlossen hat. Könnte ein Atommülllager beschädigt sein? Die bisher kolportierten Messwerte sind ihren Informationen zufolge wohl vor allem auf den durch die Truppenbewegungen und Bombenangriffe aufgewirbelten radioaktiven Staub zurückzuführen. Das vermutet auch die IAEA. Dieser sei zumindest akut keine Gefahr für weiter entfernt liegende Gebiete. "Aber für Leute, die dort sind und das einatmen, kann das sehr schnell tödlich sein", erklärt Claußen. Außerdem gebe es einen unbestätigten Bericht, wonach ein Atommülllager von einem Projektil getroffen worden sein soll. Ein mit der Lage vertrauter Beamter sagte das der Nachrichtenagentur AP. "Genau weiß man das aber nicht", sagt Claußen. Ukrainische Offizielle sagten, würden solche Lager oder gar der Reaktor selbst beschädigt, könne das katastrophale Folgen weit über die Ukraine hinaus haben. Warum gab es überhaupt Kämpfe in Tschernobyl? Dass Putin Tschernobyl als zurückerobertes Prestigeobjekt oder gar Druckmittel benutzt, glaubt Claußen nicht. "Wenn Putin ein Druckmittel braucht, dann wird er es auch benutzen." Bisher gibt es dafür keine Anzeichen. Tatsächlich, erklärt Claußen, liegt der Grund für die Gefechte am zerstörten Reaktor wohl in dessen Lage. Das Gebiet befindet sich wenige Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt, von wo aus russische Truppen am Donnerstag in die Ukraine einfielen. Kiew wiederum liegt nur rund 100 Kilometer südlich der Sperrzone. Tschernobyl, sagt Claußen, lag wahrscheinlich einfach auf dem kürzesten Weg in die Hauptstadt.

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