Frankfurt/Main (dpa/jack). Die Frankfurter Buchmesse hat mit einer Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit begonnen. "Wir bedauern, dass einzelne Autor*innen ihre Auftritte auf der Frankfurter Buchmesse 2021 abgesagt haben", hieß es am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung der Buchmesse und des Börsenverein des Deutschen Buchhandels. "Ihre Stimmen gegen Rassismus und ihr Eintreten für Diversität werden auf der Frankfurter Buchmesse fehlen."
Jasmina Kuhnke hatte ihren Auftritt auf der Messe wegen der Anwesenheit des Jungeuropa-Verlags abgesagt. Es sei absehbar, dass mit dessen rechtsextremen Verleger Philip Stein "über den Verlag und Autor*innen hinaus auch weitere Rechtsextreme die Messe besuchen werden, was die Gefahr für mich persönlich unübersehbar gegenwärtig macht".
Sie empfinde es als untragbar, Nazis Raum zu bieten. "Ich rede nicht mit Nazis. Ich höre Nazis nicht zu. Ich lese keine Bücher von Nazis." Kuhnke war eingeladen worden, am Freitag bei der ARD-Buchnacht aufzutreten, um ihren Debütroman "Schwarzes Herz" vorzustellen. Die Comedy-Autorin, die in den sozialen Medien unter dem Pseudonym Quattromilf bekannt ist, erhält aufgrund ihrer Äußerungen regelmäßig Drohungen.
Unterstützung erhielt Kuhnke noch am gleichen Tag von anderen Autorinnen und Autoren, die ihr Kommen wieder absagten - darunter Influencer Riccardo Simonetti, die Schauspielerinnen Nikeata Thompson und Annabelle Mandeng sowie Inklusions-Aktivist Raul Krauthausen.
Die österreichische Politikwissenschaftlerin und Autorin Natascha Strobl schrieb auf Twitter, dass es sich bei Jungeuropa nicht bloß um einen rechten Verlag "mit ein paar problematischen Teilen" handele - "das ist ein Verlag von Faschisten für Faschisten. Das ist der ganze Daseinszweck des Verlags".
Die Amadeu Antonio Stiftung forderte eine umgehende Reaktion der Veranstalter. Der Verlag Jungeuropa müsse schnellstmöglich von der Messe ausgeschlossen werden, da sich die Frankfurter Buchmesse sonst mit schuldig mache.
Die Buchmesse rechtfertigte dagegen die Entscheidung, rechte Verlage nicht auszuschließen: "Meinungs- und Publikationsfreiheit stehen für uns an erster Stelle." Alle Verlage, die sich im Rahmen der Rechtsordnung bewegten, dürften in Frankfurt ausstellen – "auch wenn wir ihre Ansichten nicht teilen".
Verlage oder ihre Produkte zu verbieten, sei in einem Rechtsstaat Aufgabe von Gerichten. Kuhnkes Verlag Rowohlt erklärte dagegen: Das Recht auf Meinungsfreiheit stoße "an seine Grenzen, wenn die Sicherheit und die Grundrechte anderer bedroht werden". An den ersten beiden Tagen ist die Buchmesse zunächst nur für Fachbesucher geöffnet – ihre Zahl ist auf 25.000 pro Tag gedeckelt.
Einige Autorinnen und Autoren sagten ihr Kommen wieder ab
Gastland ist in diesem Jahr Kanada. Insgesamt 2.000 Verlage und Unternehmen aus 80 Ländern werden erwartet. Mehr als 300 Autorinnen und Autoren stellen ihre Bücher vor, 1.400 Veranstaltungen sind geplant. Die Buchmesse dauert bis Sonntag (24. Oktober).

Am Mittwochmorgen bildeten sich lange Schlangen am Eingang: Besucher mussten ihr elektronisches Ticket vorzeigen, ihren Impf-, Test- oder Genesenen-Nachweis vorlegen und sich mit dem Personalausweis ausweisen. In den Hallen war mehr Platz, die Gänge sind breiter als früher. Zudem finden viele Veranstaltungen – genau wie im letzten Jahr – im Internet statt. Auf dem "Blauen Sofa" oder der ARD-Bühne in der Festhalle konnte man dennoch die ersten Prominenten erleben.
Buchpreis-Gewinnerin Antje Rávik Strubel ("Blaue Frau") kritisierte die deutsche Rechtsprechung im Umgang mit sexuellem Missbrauch. Es sei "erschreckend", wie wenige Fälle überhaupt zur Anzeige kämen, sagte sie. Noch viel seltener würden die Täter verurteilt. Ein Grund dafür sei, "dass den Frauen nicht geglaubt wird". Anders als etwa in skandinavischen Ländern seien die Frauen zudem gezwungen, den Tätern vor Gericht wiederzubegegnen.
Der Historiker Per Leo ("Mit Rechten reden", "Tränen ohne Trauer") warnte davor, über dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus die Täter zu vernachlässigen. "Wir haben es mit permanenten Versuchen der Selbstentlastung zu tun", sagte Leo. Er beobachte "eine Verschiebung, die sich – und da wird es problematisch – weg von den historischen Opfern der Shoah hin zum Staat Israel verschiebt. Wir haben da eine Art Entlastungs-Zionismus, der hoch problematisch ist."