Meinung

Beim Streit um den Wehrdienst vergisst die Politik die Betroffenen

Union und SPD haben sich in dem Konflikt verhakt. Die junge Generation gerät dabei aus dem Blick. Das ist leider symptomatisch, kommentiert unser Autor.

Ein Soldat der Bundeswehr während einer Zeremonie. Der Streit um den Wehrdienst sorgt für Verunsicherung bei der jungen Generation. | © picture alliance / Panama Pictures

Markus Decker
15.10.2025 | 15.10.2025, 18:53

Wer sich am Dienstagabend über die innenpolitische Lage informierte, der stieß einmal mehr auf einen Zustand der Unordnung. Eine gemeinsame Pressekonferenz zum neuen Wehrdienst wurde nach heftigem Widerstand in der SPD-Bundestagsfraktion kurzfristig abgesagt. Das Rentenpaket steht ebenfalls auf der Kippe, weil der Nachwuchs bei den Kollegen von CDU und CSU dagegen Front macht. Dass in beiden Fällen die Interessen junger Menschen berührt sind, ist kein Zufall, sondern symptomatisch. Vor allem im Wehrdienststreit sind ihre Belange verheerend aus dem Blick geraten.

Die Auseinandersetzung folgt der Binnenlogik des parlamentarischen Betriebs. Da ist die Verantwortung für das drohende Misslingen der Wehrdienstreform relativ gleich verteilt. Die SPD wollte von Pflichtelementen lange nichts wissen. Ihr Verteidigungsminister Boris Pistorius präsentierte auf dieser Basis einen Gesetzentwurf, der bei der Gewinnung neuer Rekruten auf Freiwilligkeit setzt – und offenlässt, wann und unter welchen Umständen eine Pflicht greift. Über Veränderungen an seinem Entwurf will er sogar nach Auskunft von Sozialdemokraten nicht reden, wohl wissend, dass Gesetze im Bundestag verabschiedet werden und nirgendwo sonst. Die Union belässt es aber nicht bei dem nachvollziehbaren Versuch, für den Eventualfall ein Pflichtelement durchzusetzen, sondern geht mit Pistorius darüber hinaus in den offenen Machtkampf.

In der Sache spricht manches für die Haltung von CDU und CSU. Die Truppe braucht 80.000 Soldatinnen und Soldaten zusätzlich. Und wenn die sich trotz einer erheblichen Erhöhung des Wehrsoldes und anderer Vergünstigungen nicht melden, dann wird eine Pflicht früher oder später unausweichlich – ob mit Losverfahren oder ohne. Das muss seinen Niederschlag finden. Dabei spielt der Zeitfaktor eine erhebliche Rolle. Die Bundeswehr muss angesichts der russischen Bedrohung und der daraus resultierenden Anforderungen der Nato schnell wachsen. Das Wehrdienstgesetz muss daher im Herbst verabschiedet werden, wenn es am 1. Januar in Kraft treten soll. Für Experimente gibt es außenpolitisch längst keinen Raum mehr.

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Die Last der jungen Generation ist maximal

Gravierend ist aber, dass die maßgeblichen Akteure in der Koalition die Betroffenen in ihrer Selbstbezüglichkeit völlig vergessen haben. Denn generell ist die Last der Jungen bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben maximal: bei Verteidigung und Rente, bei Staatsverschuldung und Klimawandel. Doch die Bereitschaft, sie zu hören, ist minimal. Im Gegenteil: Der demografische Wandel führt nahezu zwangsläufig dazu, dass die Alten ihre Interessen an der Wahlurne ungehindert durchsetzen können.

Zum Thema: Linnemann erwartet erste Lesung zum Wehrdienst am Donnerstag

Das Problem ist denn auch nicht, dass jetzt plötzlich ein Losverfahren debattiert wird. Wenn es zu einer Auswahlwehrpflicht kommen sollte, dann wäre - der Begriff sagt es bereits – faktisch nur ein geringer Teil der jungen Menschen betroffen. Es käme also unter allen Umständen zu Ungerechtigkeiten, ob mit Los oder ohne.

Das Problem ist, dass die Idee mit dem Losverfahren und der gesamte Prozess wie ein Ausdruck von Planlosigkeit wirkt und wie eine Provokation derer, die es angeht: die 18- bis 25-jährigen Männer dieser Republik. Der Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit kommt noch hinzu. Nicht wenige Männer dürften sich schließlich fragen, warum Frauen bei der Wehrpflicht im Jahr 2025 immer noch ausgespart bleiben sollen. Der Hinweis, dass man sonst das Grundgesetz ändern müsste und das nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag ginge, wird sie nicht überzeugen.

Dass der Konflikt in der Gemengelage noch ein gutes Ende nimmt, ist jedenfalls unwahrscheinlich. Und das ist eine große Misere.