
Warum eigentlich spielen so viele Menschen Lotto, wenn man doch viel einfacher sorgenfrei leben kann? Wie wär’s – Achtung: Ironie! – mit Bürgergeld? Sie stellen Anträge bei Behörden, bringen haufenweise Unterlagen bei, lösen Vermögen und Versicherungen auf, stellen sich den Nachfragen misstrauischer Sachbearbeiter – schon lässt sich’s bequem einrichten in der Hängematte. 563 Euro monatlich (!) kassiert ein Alleinstehender, mit Kindern und Partner ist noch mehr drin, sogar die Miete zahlt das Amt, wenn der Mindestbedarf zuvor quadratmetergenau ermittelt wurde.
Klingt verführerisch? Ist es nicht. Wer unter prekären Verhältnissen leben und sich täglich in der Bild-Zeitung als Schmarotzer diffamieren lassen will, mag damit zufrieden sein. Es gibt solche Leute. Man schätzt ihre Zahl auf rund 15.000. Die so genannten „Totalverweigerer“ kassieren die Stütze und zeigen dem System den Mittelfinger.
Mehr zum Thema: Wie kann das Bürgergeld reformiert werden? Fünf Vorschläge aus Gütersloh
Die anderen 5,5 Millionen haben ein handfestes Problem: Sie gehören zu den 1,5 Millionen Kindern und Jugendlichen mit armen Eltern. Sie sind krank, betreuen Angehörige, oder können nur in Teilzeit arbeiten und verdienen dabei so wenig, dass sie zusätzliche Hilfe brauchen, um das Existenzminimum zu sichern (2,3 Millionen Menschen). Oder sie suchen einen Job und finden keinen (1,7 Millionen); die meisten, weil sie keine Ausbildung haben.
Horrorgeschichten über das Bürgergeld fluten die Medien
So sieht also das Abzock-Paradies aus, von dem derzeit so viel die Rede ist. Warum diese Debatte jetzt entbrannt ist? Sachlich lässt sich das kaum begründen. Tatsächlich sind die Ausgaben für das Bürgergeld und dessen Vorläufer anteilig zurückgegangen. Vor zehn Jahren lag der Anteil von Menschen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II erhielten, bei 9,4 Prozent. Heute liegt diese Quote bei 8,2 Prozent, und das, obwohl seit 2022 rund eine Dreiviertelmillion Ukrainer zusätzlich in das Bürgergeld-System aufgenommen wurde.
Lesen Sie auch: Die größten Bürgergeld-Mythen im Check: Herfords Jobcenter-Chefin im Interview
Wem nutzt also die teils hysterische Diskussion um angeblich massenhaften Missbrauch? Vor allem jenen, die gern ablenken würden vom eigentlichen Handlungsbedarf in der Steuer- und Sozialpolitik. Solange CDU und CSU die Talkshows mit maßlos aufgeblasenen Horrorgeschichten über das Bürgergeld fluten, kommt niemand dazu, sie nach dem Wesentlichen zu fragen: Welche Ideen sie haben, um unser grotesk kompliziertes Steuersystem einfacher und gerechter zu machen.
Wie sie die krasse Privilegierung der Bezieher von Kapitaleinkünften gegenüber den Beschäftigten bei der Finanzierung der Sozialversicherungen korrigieren wollen, um Beitragszahler und die Wirtschaft zu entlasten. Oder, ganz naiv, wann sie endlich anfangen wollen, sich mit den eigentlichen, den fundamentalen Problemen dieses Landes zu beschäftigen.