
Die ersten 100 Tage Schwarz-Rot fühlen sich an wie ein erster Besuch im Fitnessstudio: viel Ehrgeiz, spürbarer Muskelkater – und noch offen, ob man wirklich dranbleibt. 100 Tage sind nicht viel in der Politik, doch die Zeit ist lang genug, um den Ton für eine Legislatur zu setzen.
Friedrich Merz und seine Koalition starteten mit großem Anspruch und mindestens so großen Versprechen: Aufbruch statt Dauerstreit, Wachstumsbooster statt Stillstand, klare Kante statt ewiger Diskussionen.
Die ersten Wochen wirkten tatsächlich wie eine Befreiung von den lähmenden Ampel-Jahren. Zwei Haushalte durchs Parlament gebracht, Investitionsmilliarden für Infrastruktur, Klima und Rüstung auf die Beine gestellt, mehr Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Flüchtlingen, ein Rentenpaket geschnürt. Das war Tempo. Hinzu kommt eine ordentliche Kanzler-Performance auf der internationalen politischen Bühne.
Optimismus wird hart gebremst
Doch die Euphorie verfliegt. Nicht nur, weil die wirtschaftlichen Zahlen den Optimismus hart auf den Boden plumpsen lassen. Die Industrieproduktion fällt auf den tiefsten Stand seit 2020, die Automobilindustrie schwächelt und das zweite Quartal brachte ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung. Trotz steigender Arbeitslosigkeit gibt es weiter Fachkräftemangel. Und auf der Weltbühne spielen Trump, Putin und Netanjahu nach ihren eigenen Spielregeln.
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Die Regierung steht unter Druck. Auch deshalb verspricht sie den „Herbst der Reformen“. Aber die Geduld ist endlich. Arbeitgeber, Mittelstand, Ökonomen – alle fordern weniger Bürokratie und geringere Energiepreise. Die Bürger wollen simpel formuliert mehr Geld im Portemonnaie und Frieden. Das gilt für Jung und Alt.
Gleichzeitig knirscht es im Machtgefüge der Koalition. Der Streit um die Stromsteuer, nicht eingelöste Versprechen rund um die Schuldenbremse, der desaströse Streit um die Verfassungsrichterwahl, der Kanzler-Alleingang in der Frage um Waffenlieferungen an Israel. All das hinterlässt Wunden, zerstört Vertrauen. Noch halten Kanzler und Vizekanzler den Laden zusammen, aber die Fraktionen ticken schon wieder im Misstrauensmodus.
Nur noch 29 Prozent mit Bundesregierung zufrieden
Die SPD hält längst ein wachsames Auge auf Unionsfraktionschef Jens Spahn, der es im Richterstreit nicht schaffte, seine Fraktion hinter einer vorab gefällten Entscheidung zu versammeln. Es war nicht sein erster Fauxpas.
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Die Bürger quittieren all das mit Unzufriedenheit. Nur noch 29 Prozent sind laut ARD-Deutschlandtrend mit der Bundesregierung zufrieden. Der schlechteste Wert seit Amtsantritt. Wenn Merz und Klingbeil verhindern wollen, dass die Regierung in der Wahrnehmung nur eine „Ampel in Schwarz-Rot“ ist, müssen die Koalitionspartner liefern – nicht nur ankündigen. Weniger Machtspielchen, mehr Mut und Miteinander. Das kann eine verlässliche Führung schaffen.