
Kennen Sie einen der Unterschiede zwischen Angela Merkel und Friedrich Merz? Merkel war immer bedacht in ihren Äußerungen und bevorzugte eher die politisch korrekte, aber leere Phrase. Merz haut verbal gern drauf und nimmt hier und dort ein Fettnäpfchen mit.
Der aktuelle Bundeskanzler hat es mit einer Äußerung geschafft, dass sich sogar ein Hochseilartist zum Handeln gezwungen sah. Der hat die Regenbogenflagge über dem Zirkus Charles Knie gehisst. Aus Protest gegen Merz’ Satz, der Bundestag sei kein Zirkuszelt. Bezogen war das auf die Frage, weshalb die Regenbogenflagge am Christopher-Street-Day nicht über dem Reichstag zu sehen war.
Schon haben wir eine Debatte über Respekt und Minderheitenrechte. Für die klassische Sommerloch-Diskussion ist es noch zu früh und mit dieser Bezeichnung würden wir dem Thema auch nicht gerecht. Doch warum kocht die Zirkuszelt-Bemerkung gerade so hoch?
Wie allgegenwärtig sind bestimmte Themen zu betrachten?
Das Drama spielt sich auf zwei Ebenen ab. Auf der inhaltlichen und der kommunikativen. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hatte entschieden, die Regenbogenflagge am Tag des CSD in Berlin nicht zu hissen. Über dem Reichstag wehten nur die deutsche und die EU-Flagge. Klöckner sagt, die Regenbogenflagge sei am Tag gegen Homophobie gehisst worden. Das müsse reichen. In dieser Entscheidung spiegelt sich eine Diskussion wider, die in unserer Gesellschaft derzeit geführt wird. Wie omnipräsent und allgegenwärtig sind bestimmte Themen zu betrachten und in den Vordergrund zu stellen? Wie in diesem Fall die LGBTQ-Bewegung für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, für die die Regenbogenfahne steht.
Symbolik im Paderborner Land: Abstimmung über Regenbogenflagge ausgebremst
Darüber darf in einer Demokratie debattiert werden. Das muss unsere Gesellschaft aushalten. Egal, welche Position man dazu bezieht. Wohlgemerkt: Es geht nicht um die Frage, ob Gleichberechtigung, Toleranz und Unterstützung angebracht sind. Das sollte unstrittig sein. Es geht um die Frage, wie präsent dieses Thema in den verschiedenen Lebensbereichen sein muss.
Das muss ein Bundeskanzler dann auch aushalten
Nun zur kommunikativen Ebene. Wie verteidigt man eine solche Entscheidung? Da hat sich der Bundeskanzler unbedacht geäußert. Parteifreund Carsten Linnemann aus Paderborn springt ihm zwar bei und sagt, man müsse nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ja, das könnte man so sehen, zumal es in einer TV-Talkshow geäußert wurde.
Doch wenn ein Bundeskanzler etwas öffentlich äußert, dann muss er die entsprechenden Reaktionen aushalten. Friedrich Merz hat offenbar viele Menschen mit dem Zirkuszelt-Vergleich vor den Kopf gestoßen. Nicht nur die Zirkusartisten, sondern vor allem jene, die sich gewünscht hätten, dass die Regenbogenflagge gehisst wird. Sie vermuten hinter Merz’ Satz eine abfällige Sichtweise auf die LGBTQ-Bewegung.
Friedrich Merz könnte das Ganze befrieden, indem er auf die Empörung reagiert und sich erklärt. Denn natürlich hätte er die Entscheidung anders rechtfertigen können. Das hätte auch etwas mit Nähe zum Wahlvolk zu tun. Er wird es vermutlich nicht tun. Womit wir bei der wachsenden Distanz zwischen Politik und Bevölkerung angekommen wären. Hier besteht die Gefahr darin, dass die kommunikative Distanz am Ende zur inhaltlichen wird.