Meinung

Eine schwere Hypothek auf den Schultern des neuen Kanzlers Merz

Der Verlust an politischem Gewicht durch das Scheitern im ersten Wahlgang wiegt national und international schwer. Der Regierungschef droht schon vor Amtsantritt zur tragischen Figur zu werden.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Bundestag: Die unerwartete Niederlage im ersten Anlauf der Kanzlerwahl wirft Fragen zur künftigen Führung auf. | © Kay Nietfeld/dpa

Thomas Seim
06.05.2025 | 06.05.2025, 18:45

Es ist der größte anzunehmende Unfall für Friedrich Merz. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist mit dem CDU-Vorsitzenden ein Kandidat im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl gescheitert. Er ist damit als Chef einer neuen Regierung beschädigt. Wenn in der wichtigsten Abstimmung, die eine mögliche Koalition gewinnen muss, bereits im ersten Versuch die Mehrheit nicht sicher ist: Wie soll dann künftig eine starke Regierung mit einem sehr ehrgeizigen Programm Mehrheiten für ihre Politik sicherstellen?

Die Antwort fällt auch mit Blick auf den erfolgreichen zweiten Wahlgang nicht leicht. Die fehlenden Stimmen im ersten Wahlgang gliedern sich in drei Enthaltungen und Stimmen gegen Merz. Unterstellt man, dass gerade die Enthaltungen nur als – unbedachte – Warnung und Verwarnung an einen Kanzler Merz gedacht waren, bleibt auch dann die Erkenntnis, dass diese Kanzler-Mehrheit nicht mehr als sicher gelten darf.

Friedrich Merz ist deshalb schon jetzt eine tragische Figur. Zunächst wollte ihn seine eigene Partei erst beim dritten Versuch – und auch da noch widerwillig – als Vorsitzenden bestätigen. Und auch bei dieser gescheiterten Kanzlerwahl im Bundestag war es wohl eher eine Anti-Merz-Wahl als eine Anti-GroKo-Wahl. Er ist eine nicht sehr erwünschte oder gar beliebte Führungsfigur. Das ist für ihn persönlich sehr bitter.

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Keine starke Führungsgewalt im Kanzleramt

Was aber bedeutet das nun fürs Land? Selbst mit der Kanzlerwahl im zweiten Wahlgang lässt sich nicht viel Grund für neuen Mut zur Zukunft finden. Im Gegenteil: Ganz anders als von Merz selbst angestrebt, versammelt sich im neuen Kanzleramt keine starke Führungsgewalt. Schon Vorgänger Olaf Scholz ist nicht zuletzt an wackelnden Mehrheiten der ihn tragenden Koalitionsfraktionen gescheitert, die sehr oft mit einer Verweigerungshaltung neue Korrekturen an Gesetzen forderten. Auch in der neuen GroKo dürfte nun wieder Misstrauen vorherrschen.

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Das verändert die Lage des Landes. Innenpolitisch, weil jedes Reformvorhaben aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD mit einer relativ geringen Anzahl von Stimmen aus den Regierungsfraktionen angehalten oder blockiert werden könnte. Noch dramatischer ist der Verlust an politischem Gewicht international. Dort wollte der neue Kanzler eine Führungsrolle in den Konflikten mit den USA um die Ukraine, die Wirtschaftspolitik und den Gaza-Krieg sowie in der Europäischen Union übernehmen. Der nun beschädigte Friedrich Merz hat es nicht nur gegen einen Autokraten wie Trump im Weißen Haus schwerer.

Diese Hypothek liegt schwer auf den Schultern des neuen Kanzlers – und der Koalitionsfraktionen. Man hofft, dass die sich ihrer Verantwortung bewusst sind.