Meinung

Die Leerstellen im Koalitionsvertrag: Fehlende Reformen in Gesundheit und Pflege

Es braucht Reformen im Gesundheitswesen und der Pflege. Doch im Koalitionsvertrag gibt es dazu Leerstellen. Union und SPD wollen sich vor unangenehmen Entscheidungen drücken, sagt unser Autor.

Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer älteren Frau über einen Korridor. | © dpa

Tim Szent-Ivanyi
14.04.2025 | 14.04.2025, 13:19

Im politischen Berlin gibt es ein Bonmot, das in der Regierungszeit von Gerhard Schröder die Runde machte, aber seitdem etwas in Vergessenheit geraten ist: „Wenn Du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis. Kennst Du das Ergebnis schon, bilde eine Kommission.“ Damals kamen Expertenkommissionen in Mode, die letztlich nur einen Zweck hatten: Die Regierung wollte sich davor drücken, Urheber unangenehmer politische Entscheidungen zu werden.

Schröder nutzte dieses Mittel intensiv. So ließ er die „Rürup-Kommission“ die Praxisgebühr für die gesetzlich Krankenversicherten empfehlen und die „Hartz-Kommission“ die Kürzung des Arbeitslosengeldes.

Dieses Vorgehen scheint unter Schwarz-Rot eine Renaissance zu erleben. Im Koalitionsvertrag finden sich mehr als ein Dutzend Kommissionen, die für die Politik in die Bresche springen sollen: Gleich zwei sind für den Bereich Gesundheit geplant. Sie sollen sich nicht etwa mit irgendeinem Spezialgebiet beschäftigen, sondern mit der zentralen Frage, wie die Sozialsysteme Krankenversicherung und Pflegeversicherung trotz der Alterung der Gesellschaft leistungsfähig und bezahlbar bleiben.

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Im Gesundheitsbereich fehlen politische Entscheidungen

Allerdings ist das längst wissenschaftlich hell ausgeleuchtet. An Vorschlägen und sogar durchgerechneten Reformmodellen mangelt es nicht. Woran es fehlt, sind politische Entscheidungen, die im Zweifel unangenehm sind. Und davor wollen sich Union und SPD ganz offensichtlich drücken. Sie haben im Koalitionsvertrag noch nicht einmal den Rahmen für die Arbeit der Kommissionen abgesteckt.

Dabei muss zuvor geklärt werden, welche soziale Absicherung sich dieses Land künftig noch leisten kann und will. Der jetzige Zustand ist jedenfalls keine Alternative: In der Krankenversicherung stehen Kosten und Qualität in einem krassen Missverhältnis; die Pflege ist extrem unterfinanziert.

Die Pflege in Deutschland ist unterfinanziert. Es fehlt jedoch an politischen Entscheidungen, die das ändern könnten. - © Paul Zinken/dpa
Die Pflege in Deutschland ist unterfinanziert. Es fehlt jedoch an politischen Entscheidungen, die das ändern könnten. | © Paul Zinken/dpa

Es wird im Gesundheitswesen kein Weg am intelligenten Sparen vorbeiführen, um zu verhindern, dass die Kosten weiterhin schneller steigen als die Einnahmen. Dabei muss sich die Politik auch mit den sogenannten Leistungserbringern anlegen, insbesondere mit der Pharmaindustrie und den Kliniken, aber auch mit Ärzten und Apothekern. Die meisten von ihnen machen einen guten Job und opfern sich für die Patientinnen und Patienten auf. Aber generell herrscht ein enormes Anspruchsdenken vor.

Angebot im deutschen Gesundheitswesen falsch verteilt

Die Antwort auf die Zukunftsfragen kann nicht mehr heißen, mit der Gießkanne immer allen mehr zu geben. Vielmehr muss das Geld auch einmal umverteilt werden, um einen Strukturwandel zu erzwingen. Ein Abbau der Überversorgung in den Ballungszentren zugunsten des flachen Landes und der kleineren Städte, weniger, aber dafür spezialisierte Kliniken, mehr Gesundheitszentren mit einem breiten Angebot. Letztlich gibt es im deutschen Gesundheitswesen von allem genug, es ist nur falsch verteilt.

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Auch den Patientinnen und Patienten muss einiges zugemutet werden, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Hausarztmodell zur besseren Steuerung der Patientenströme ist überaus sinnvoll, wird ohne Sanktionen aber nicht funktionieren. Wer weiterhin die völlig freie Arztwahl haben will, sollte höhere Beiträge oder eine neue Praxisgebühr zahlen müssen – schließlich verursacht die ungesteuerte Inanspruchnahme des Gesundheitswesens höhere Kosten.

Bei der Pflegeversicherung scheiden Einsparungen oder höhere Eigenanteile aus. Die Leistungen sind heute bereits so unzureichend, dass eine wachsende Zahl von Pflegebedürftigen wieder auf die Sozialhilfe angewiesen ist. An einem Mix aus höheren Beitragseinnahmen und Steuerzuschüssen führt hier kein Weg vorbei. Auch für diese Erkenntnis ist keine Kommission erforderlich. Nötig ist vielmehr schnelles Handeln.