Meinung

Merz auf dem Weg ins Kanzleramt und der schmale Grat der Glaubwürdigkeit

Bei der Regierungsbildung in Berlin geht es um Macht – aber auch um Vertrauen. Und nirgendwo ist dieser Spagat aktuell größer als beim CDU-Chef, kommentiert Andrea Rolfes.

Friedrich Merz, Unions Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, geht einen umstrittenen Weg, um Kanzler zu werden. | © Michael Kappeler/dpa

Andrea Rolfes
27.03.2025 | 27.03.2025, 06:06

Bielefeld. Jetzt wird es ernst. Die Fachgruppen haben ihre Arbeit getan, die Papiere samt Eckpunkten liegen auf dem Tisch. Nun treten die Koalitionsverhandlungen in die entscheidende Phase. In Berlin geht es um Macht – aber auch um Glaubwürdigkeit. Und nirgendwo ist dieser Spagat aktuell größer als bei Friedrich Merz.

Der CDU-Chef, der sich Schritt für Schritt in Richtung Kanzleramt vorarbeitet, stößt auf unterschiedliche Reaktionen: Nicht wenige werfen ihm vor, Kanzler um jeden Preis werden zu wollen. Pragmatismus statt Prinzipien, Kompromisse statt Konfrontation – Kritiker legen ihm diese Führungsstrategie negativ aus.

Wohlwollend betrachtet ist diese Art der Führung ein kluger Schachzug. Der Mann, der einst mit harten Worten für einen klar konservativen Kurs stand, macht jetzt Deals mit SPD und Grünen, hebt milliardenschwere Sondervermögen aus der Taufe und biegt die Schuldenbremse mit Grundgesetzänderungen zurecht.

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Merz’ Wandel: Pragmatismus oder Prinzipienverlust?

All das macht Merz, um regierungsfähig zu erscheinen und vor allem, um überhaupt regierungsfähig zu werden. Und mal im Ernst: Könnte sich Deutschland ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen leisten? Kurz gesagt: Nein. Jedenfalls nicht ohne einen hohen politischen und wirtschaftlichen Preis. Ein Scheitern der Verhandlungen wäre ein fatales Signal – nach innen und nach außen.

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Doch der neue Merz-Pragmatismus hat seinen Preis. Nicht bei SPD oder Grünen – dort weiß man, mit wem man es zu tun hat und schätzt Merz’ plötzliche Kompromissfähigkeit. Der Preis wird an anderer Stelle fällig: an der CDU-Basis. Dort, wo viele Merz genau deshalb unterstützt haben, weil sie ihn als Gegenentwurf zu Merkels Kompromisslinie sahen. Ein Mann mit klarer Kante, der für eine Politikwende steht – nicht für politische Wendigkeit.

Wirtschaft und Migration: CDU-Chef muss liefern

Jetzt jedoch ist genau diese Wendigkeit notwendig. In der Schuldenpolitik hat er eine 180-Grad-Wende hingelegt. Die Schuldenbremse, im CDU-Wahlprogramm noch als unverrückbar bezeichnet, wird nun pragmatisch aufgeweicht. Ist das kluge Staatsdiplomatie? Oder ein Wortbruch, der Vertrauen kostet? Es ist beides.

Jetzt kommt es aber darauf an, nach vorn zu blicken. Wichtig ist ab jetzt, was Merz daraus macht. Er muss liefern – vor allem bei den Themen Migration und Wirtschaft. Das Arbeitspapier zur Migrationspolitik liest sich in Teilen wie eine Antwort an die eigene Basis: Zurückweisungen an Grenzen, Einschränkungen beim Familiennachzug, strengere Bleiberechtsregelungen.

Doch Papier ist geduldig – entscheidend wird sein, ob Merz tatsächlich Substanz liefert. Und ob er gegenüber der SPD genug Durchsetzungskraft beweist, um zentrale Unionsforderungen nicht nur in Paragrafen, sondern auch in der Realität zu verankern.

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In der Wirtschaftspolitik sieht es nicht anders aus. Die Schuldenwende ist nur dann vermittelbar, wenn die Milliardeninvestitionen schnell Wirkung zeigen: für Infrastruktur, Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Erneuerung. Andernfalls steht Merz als Kanzler da, der viel versprochen und noch mehr verdreht hat. Dasselbe gilt dann auch für die GroKo.