
Nun ist es geschehen, das Tabu ist gebrochen. Helmut Kohl und Konrad Adenauer würden ihre Union nicht mehr wiedererkennen. Die Staatsmänner, die die CDU in der dramatischen Nachkriegsphase zu einem mehrheitsfähigen Bündnis aus nationalen, liberalen und christlich-sozialen Bürgern der neuen deutschen Demokratie schmiedeten, können sich nur abwenden von allem, was ihr Nachfolger an der Partei- und Fraktionsspitze anrichtet oder gar zerstört. Nur zwei Tage nach dem 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hat er sich im Bundestag eine Mehrheit von einer Nachfolgepartei der Nationalsozialisten, der AfD, beschaffen lassen.
Wie ernst dieser Kursschwenk der Union ist, welches Risiko dieser Politikwechsel für die demokratische Mitte unseres Landes ist, das mag man an der gemeinsamen Reaktion der evangelischen und katholischen Kirchen auf die Debattenlage ermessen. Beide großen Glaubensgemeinschaften befürchten, wie sie an die Abgeordneten des Bundestages schrieben, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt.
So ist es. Der Zerfall der demokratischen Mitte im Parlament droht sich zu einem Dammbruch zu Lasten der demokratischen Gesellschaft auszuweiten.
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Bemerkenswerte Regierungserklärung von Scholz
Was nun? Bundeskanzler Olaf Scholz stellte in einer bemerkenswerten Regierungserklärung vor dem Bundestag klar, dass es Grenzen gibt, die ein Staatsmann nicht überschreiten darf, weil das dem Rechtsstaat schadet. Er war stärker als gewohnt, erinnerte fast schon an seinen Hamburger Vorgänger Helmut Schmidt und berief sich zusätzlich auf seine Vorgänger Adenauer, Kohl, Brandt und Merkel. Es mag sein, dass er diese Grenze ziehen muss. Aber wenn er nicht wie vor knapp 100 Jahren der sozialdemokratische Reichskanzler Hermann Müller als gescheiterter Regierungschef in die Geschichte eingehen will, dann muss er die demokratische Mitte ungeachtet des nahenden Wahltermins neu beleben.
Dies gilt umgekehrt auch als Anforderung an einen Oppositionsführer Friedrich Merz, der sich das Pokerspiel des „All-In“ und seinen Folgsamen jedes Gedankenspiel um schwarz-blaue Gemeinsamkeiten vor und nach der Wahl verbieten muss. Falls seine Kraft dafür nicht mehr reicht, sollten es jene in der Union tun, die sich einig wissen mit dem schwarz-grünen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, Daniel Günther, bislang aber schweigen, weil sie sich nicht trauen oder Merz nicht schaden wollen. Es ist ihre Pflicht.
Denn was immer an politischem Streit um den richtigen Weg auch in der Migration nötig ist – zum Pokerspiel um die Macht eignet sich das Thema nicht. Das gilt auch für ein „Zocken“ um das Kanzleramt, das letztlich über Krieg und Frieden entscheiden muss.