Kommentar

Scholz und Merz im Wahlkampf: Freut Euch nicht zu früh

Die politische Mitte ist gerade dabei, sich gegenseitig und selbst zu zerstören. Von einem schwachen Friedrich Merz profitiert aber keineswegs automatisch ein noch schwächerer Kanzler Olaf Scholz, meint unsere Autorin.

Der Kanzler und sein Herausforderer: Olaf Scholz (r., SPD) und Friedrich Merz treffen im Bundestag aufeinander. | © picture alliance/dpa

Eva Quadbeck
19.09.2024 | 19.09.2024, 16:34

Der Bundestagswahlkampf 2025 hat ganz schön früh begonnen. Mit der Benennung von Friedrich Merz zum Kanzlerkandidaten der Union stehen die beiden Platzhirsche auf der Lichtung: der Kanzler der SPD und sein Herausforderer von der CDU. Fast wie in der alten Bundesrepublik: Schwarz gegen Rot. Der dramatische Unterschied zu damals liegt darin, dass die beiden Parteien gemeinsam so gerade eben noch eine Mehrheit im Bundestag hätten. Den Beinamen „groß“ könnte eine solche Koalition aber nicht mehr tragen.

Der Trend, wonach sich die jüngeren Wählerinnen und Wähler eher der FDP und den Grünen zuwenden, scheint auch vorüber zu sein. Die jüngsten Landtagswahlergebnisse in Ost wie West legen leider nahe, dass die Jüngeren immer häufiger die AfD mit ihrem autoritären Staatsbild tatsächlich als Alternative sehen.

Die bittere Erkenntnis: Die staatstragenden Parteien der Republik haben sich selbst und gegenseitig zerlegt und dabei das Wasser auf die Mühlen der AfD gespült. Nun rühmt sich die Union, mit ihren gut 30 Prozent in den Umfragen die letzte verbliebene Volkspartei zu sein. Angesichts der erheblichen Schwäche der Ampelparteien müsste sie allerdings viel besser dastehen.

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Wähler verlieren Vertrauen in etablierte Parteien

Wenn man nun hört, dass sich Kanzler Olaf Scholz auf Merz als Gegner im Wahlkampf freut und der Unionsfraktionschef umgekehrt das Gleiche über Scholz zum Besten gibt, dann steht zu befürchten, dass sich da gleich zwei Leute inklusive ihrer Wahlkampfteams zu früh freuen. Die Schwäche und die schlechten persönlichen Umfragewerte des jeweils anderen zahlen ja nicht automatisch bei einem selbst ein. Im Gegenteil: Die Entwicklung der Parteienlandschaft inklusive des kometenhaften Aufstiegs des BSW in kürzester Zeit zeigt, dass eine wachsende Zahl der Wählerinnen und Wähler kein Vertrauen mehr in die Parteien haben, die seit Jahrzehnten die Republik steuern.

Wenn diese Parteien - weit über die normale politische Auseinandersetzung hinaus - gegenseitig übereinander herfallen, sich mit Häme überziehen, die Sprache der Populisten kopieren, Koalitionen miteinander ausschließen (wie die Union mit den Grünen) und keine Kompromisse mehr miteinander hinbekommen (Migrationspolitik), dann darf man sich wirklich nicht wundern, dass sich auch im Volk die Gewissheit festsetzt: Die können es eben nicht.

Es geht natürlich nicht nur um stilistische Fragen. Die inhaltlichen Gründe für den erheblichen Vertrauensverlust der traditionellen Parteien sind breit: die irreguläre Migration, die schwache Konjunktur, die Inflation, die marode Infrastruktur und die Zunahme von Gewalttaten. Angesichts der multiplen Krisen wäre ein - altmodisch ausgedrückt - staatsmännisches Vorgehen und Miteinander umso mehr angezeigt.

Politische Kultur in Gefahr

Und im Ringen um die bessere Lösung sollten sich die Parteien das entgegenbringen, was die SPD gerne als Schlagwort im Munde führt: Respekt. Davon ist zurzeit leider wenig zu spüren. Im Gegenteil: die Parteien der Mitte ahmen immer häufiger den geifernden Tonfall der AfD nach. Die wachsende Zahl an politischen Gewalttaten, die das Bundeskriminalamt verzeichnet, ist ja kein Zufall. Wer nicht wünscht, dass die politische Kultur der Herabwürdigung, aus der sich früher oder später Gewalt entwickelt, zur Normalität wird in Deutschland, sollte sie auch nicht kopieren.

Ein ganzes Jahr Bundestagswahlkampf kann viel zerstören. Und wer zuerst auf der Lichtung steht, bekommt im Zweifel am meisten ab vom politischen Dauerfeuer. Wir brauchen einen Bundestagswahlkampf, der den Wert freier Wahlen und den Wert der Demokratie betont und kein schlechtes Schauspiel, das die demokratische Mitte nur weiter schwächt.