
Der Kanzler ist abgewählt, seine Regierungspartei SPD stürzt auf ein historisches Tief und hat gegenüber der Union dramatisch verloren. CDU und CSU sind zusammen Wahlsieger, erreichen allerdings trotz deutlicher Zugewinne nicht mal mehr ein Drittel der Wähler. Die Grünen bleiben stabil hinter den Sozialdemokraten, die Linkspartei liegt klar über fünf Prozent. Sahra Wagenknecht und Christian Lindner wanken um die Fünf-Prozent-Marke.
Man muss das Ergebnis nicht historisch nennen oder als Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik sehen. Aber man kann es schon. Denn wie immer das Endergebnis aussieht: Deutschland ist tief gespalten. Im Ringen um und in der Rechthaberei beim Streit um die Zukunft geben die Wähler und Wählerinnen unterschiedliche, auch gegensätzliche Signale. Den Wahlkämpfern ist es weder gelungen, klare Mehrheiten für sich zu mobilisieren, noch sind Strukturen für künftige Regierungsmehrheiten deutlich erkennbar.
Jedenfalls muss nach der Abwahl von Olaf Scholz nun zunächst der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, als Wahlsieger Antworten auf die Frage nach neuen Mehrheiten geben. Das gilt auch für seine Partei, die CDU, und deren bayerische Schwesterpartei CSU. Beide haben deutlich zugelegt. Merz Kurs der konservativ-neoliberalen Profilierung und die gemeinsame Entschließung mit der AfD im Bundestag kurz vor der Wahl haben aber offenbar nicht dazu beigetragen, die bisherige Oppositionsfraktion gemeinsam über die 30-Prozent-Marke zu bringen. Das gibt dem Erfolg und dem Sieg der Union einen schalen Beigeschmack. Der wird bitterer werden, wenn es für eine Zweier-Koalition mit Sozialdemokraten oder Grünen nicht reicht.
AfD macht Merz ein vergiftetes Angebot
Als Alternative biedert sich dem mutmaßlich neuen Kanzler die AfD mit einem politisch vergifteten Angebot an. Sie will Merz Mehrheiten für gemeinsame Projekte und Gesetze anbieten, ohne dafür eine Koalition oder eine Regierungsbeteiligung als Gegenleistung zu verlangen. Das allerdings lehnt eine Mehrheit der Unionswähler ab. Außerdem müsste sich Merz dann mit AfD-Stimmen zum Kanzler wählen lassen, wenn ihn der Bundespräsident für eine solche Wahl überhaupt vorschlagen würde. Es wäre ein Weg, den der CDU-Chef kaum wird gehen können. In Österreich hat die CDU-Schwesterpartei ÖVP das gerade mit der rechtsradikalen FPÖ versucht und ist daran krachend gescheitert.
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Einer der möglichen anderen Partner im neuen Bundestag könnte die SPD sein. Die Sozialdemokraten indes stehen nach über 160 Jahren Geschichte mit vielen Höhen und Tiefen vor einem Desaster. Es mag sein, dass es viel schlimmere historische Phasen gab. Aber eine solche Mischung aus Führungs- und Politikversagen hat es unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler noch nicht gegeben. Es wäre viel zu kurz gesprungen, wenn die Partei – wie es nun zunächst wohl geschehen soll – die Schuld an diesem Desaster komplett Olaf Scholz zuschiebt.
Die SPD braucht ein Zukunftskonzept
Selbst wenn Scholz von sich aus diesen Schritt geht und die Verantwortung für den Absturz für sich allein reklamiert, bleibt die Frage nach einem zukunftsfähigen Personal- und Inhaltskonzept, das die Sozialdemokraten, wenn schon nicht in die Höhen früherer Bundeskanzler, so doch glaubhaft zu neuer Zukunft führen kann. Dahinter versinkt jedenfalls augenblicklich noch die Frage, ob die Partei mit diesem desaströsen Ergebnis überhaupt schon bereit sein kann für Sondierungsgespräche mit möglichen Koalitionspartnern – zumal dann, wenn es erneut um eine Drei-Parteien-Konstellation gehen sollte.
Die Grünen bewegen sich unter ihren Erwartungen. Ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck kann das Ergebnis seiner Vorgängerin Annalena Baerbock nicht halten. Die Partei bleibt damit hinter den selbstgesetzten Zielen einer Partei mit erneuter eigener Kanzlerkandidatur zurück. Im Gegenteil ist der oft auf Ideologie gestützte Auftritt ihrer Führung durch einen Bewusstseinswandel in der öffentlichen Debatte in die Defensive gestürzt und steht vor völlig neuen Herausforderungen.
Linkspartei profitiert von Bodenständigkeit
Wie man es anders, bodenständiger und offenbar erfolgreicher machen kann, zeigt die Linkspartei. Sie zieht auch, aber nicht nur wegen ihrer alten Männer mit deutlich über fünf Prozent in den Bundestag ein und füllt offensichtlich ein Defizit, dass die Mitte-Parteien lassen.
Die Freien Demokraten der FDP haben mit dem selbstzerstörerischem Taktieren ihres Chefs als liberale Kraft deutlich an Relevanz verloren. Christian Lindner ist aufrecht genug und zieht sich zurück. Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist für keine ausreichende relevante Wählergruppe eine Alternative zur Alternative für Deutschland.
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Ein tiefer Riss und große Verunsicherung spalten Deutschland. Es bleibt der Zweifel, dass der neuen Machtverteilung die Wiedervereinigung gelingt.