
Noch ist keine Woche seit dem furchtbaren Anschlag in Solingen vergangen. Noch beherrscht die Debatte um die Herausforderungen der Politik die Öffentlichkeit. Es bleibt also noch Zeit für letzte Schlussfolgerungen. Ein paar Dinge allerdings darf man durchaus schon festhalten.
Zunächst ist es dem Oppositionsführer Friedrich Merz gelungen, sich selbst und seine von ihm geführte Partei zum Hauptspieler zu machen. Der CDU-Chef hat damit die Meinungsmacher in der Asyldebatte – AfD und BSW – wenige Tage vor den Wahlen in Thüringen und Sachsen nahezu verdrängt. Gleichzeitig hat er mit dem Angebot einer überparteilichen Zusammenarbeit an den SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz einen Spaltpilz in die Ampel-Koalition getrieben. Zur zweiten Wochenhälfte rückten FDP und Grüne, für die das Asyl-Thema zur Identität gehört, auf neue Distanz. Schließlich hat Merz inhaltlich die klare Abgrenzung des CSU-Vorsitzenden Markus Söder zu den Grünen als Regierungspartner unterstützt, ohne die Partei selbst zu nennen.
Das Merz-Spiel ist indes nicht ohne Risiko. Zunächst lautet eine alte Weisheit der Parteienforschung, dass Wähler das Original lieber wählen als die Kopie. Das Flüchtlings- und Asylthema kann insofern – gerade im Osten – auch auf die Mobilisierung von AfD und BSW einzahlen.
Merz wählt eine gute Strategie
Das Angebot an Scholz ruft die Landesregierungen unter CDU-Führung neu auf den Plan. Anders als der Oppositionsführer im Bund müssen sie darlegen, dass man das Asylrecht nicht anfassen kann und Abschiebungen sich so leicht nicht organisieren lassen. Am Donnerstag und Freitag wird dazu ausgerechnet die schwarz-grüne Regierung in NRW erklären müssen, wieso sie nicht die Sicherheit gegen abgelehnte Flüchtlinge garantieren und den Täter abschieben konnte. Mit der Delegation der Gespräche über Konsequenzen aus Solingen an die Bundesinnenministerin ist der CDU-Chef zugleich vom Kanzler auf eine tiefere Ebene abgeschoben.
Was also kann die Folge sein, wenn die Mehrheiten am Sonntag neu verteilt werden? Die CDU gewinnt und beherrscht mit Merz an der Spitze die rechtsradikale AfD und das BSW. Dann ist der Parteichef de facto designierter Kanzlerkandidat der Union für 2025. Zeigt seine Strategie, dass die CDU damit nicht entscheidend gewinnt, nimmt er keinen Schaden und bleibt auf gleichem Niveau Favorit für die Kanzlerkandidatur. Gute Strategie also.
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Ob ihn das allerdings tatsächlich als Führer der stärksten Partei ins Kanzleramt bringt, wenn das Thema sich im kommenden Jahr verflüchtigt, Olaf Scholz einer Wiederauflage der Ampel eine Absage erteilt und für eine neue Große Koalition unter seiner Führung für den Aufschwung wirbt – daran gibt es durchaus Zweifel. Auch in der Union.