
Es ist furchtbar, was in Solingen geschehen ist. Wir trauern um Menschen, die von einem Terroristen ermordet wurden. Angst frisst sich in die Mitte der Gesellschaft. Wir erwarten, dass Regierungen und Behörden schnellstmöglich dafür sorgen, dass sich solcher Terror nicht wiederholen kann. Doch die ersten Reaktionen der Politik sind beschämend: Es geht erkennbar darum, Verantwortung abzuschieben und parteipolitische Vorteile aus dieser Wahnsinnstat zu ziehen.
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Es ist nicht überraschend, wenn die AfD-Vorsitzende mit irrem Blick in die Kamera ein „Moratorium“ jeglicher Migration verlangt. Das Grundgesetz gilt unter Faschisten wenig. Der CDU-Chef Merz aber weiß es besser und fordert trotzdem einen pauschalen Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen, obwohl das rechtlich unmöglich ist. NRW-Ministerpräsident Wüst wiederum versucht, den Eindruck zu vermitteln, als habe das Land mit alledem gar nichts zu tun. Er zeigt auf das Bundesamt für Migration und das Auswärtige Amt und macht sich das Getöse seiner Parteiführung zu eigen. Das ist erbärmlich.
Zu befürchten ist, dass am Ende das Ausländeramt der Stadt Bielefeld oder die Polizei verantwortlich gemacht werden, weil sie den Attentäter nicht konsequent gesucht haben, als er abgeschoben werden sollte. Der Vorwurf ist sehr berechtigt. Doch wer ist verantwortlich dafür, dass die Ausländerbehörden hoffnungslos überlastet sind? Bund und Land müssten Städten den finanziellen Spielraum verschaffen, um ihren Kernaufgaben nachzukommen. Und tun es seit Jahren nicht.
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Land NRW hat Aufgaben vernachlässigt
Wer ist zuständig für die Personalsituation bei der Polizei, die kaum mehr in der Lage ist, eine angemessene Überwachung potenzieller Gefährder oder Hassprediger sicherzustellen? Wer kümmert sich um die ausreichende Ausstattung der Justiz, damit Verfahren – auch zur Abschiebung – endlich schneller und effizienter werden? Wer sorgt dafür, dass Schulen endlich mehr pädagogisches Personal bekommen, damit bessere Integration gelingen kann? All das sind Aufgaben des Landes.
Der Ministerpräsident von NRW sollte also dort handeln, wo er es kann: in NRW. Und es bedarf vieler weiterer, gemeinsamer Anstrengungen auf Bundes-, auf Landes- und auf europäischer Ebene (etwa zur Regulierung der Internetplattformen und Messenger-Dienste, über die Terroristen ihre Propaganda verbreiten können), um die Probleme in der Migrationspolitik zu lösen.
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Der Kanzler wird nicht nur Betroffenheit äußern können, die Außenministerin wird zutreffende Lageberichte und die Innenministerin bessere Waffengesetze liefern müssen. Vor allem aber müssen alle Beteiligten endlich in ihren Bereichen Verantwortung übernehmen, anstatt weiter auf jeweils andere zu zeigen.