Zwischen all den Meldungen zur Absage des Politischen Aschermittwochs der Grünen hat sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, sich über eine Lage sicher zu sein, bevor man sie öffentlich einordnet. In einem der eilig geschriebenen Kommentare zu der Veranstaltung im baden-württembergischen Biberach, bei der aggressive Menschen schwere Gegenstände warfen und Polizisten verletzten, stand einigermaßen selbstgefällig, die Grünen wären „vor den Protesten eingeknickt“. Richtig ist aber, und so wurde es dann später auch korrigiert, dass viel zu wenig Polizei zugegen und die Sicherheit deshalb nicht mehr gewährleistet war.
Einige Landwirte haben – wieder einmal, muss man sagen – weit über die Stränge geschlagen. Reporter fühlten sich an Schlüttsiel erinnert, als aufgebrachte Bauern, aufgepeitscht und angestachelt von radikal rechten Kräften, den grünen Vizekanzler Robert Habeck daran hinderten, eine Fähre zu verlassen.
Passiert war das erst Anfang Januar. Der Regierungssprecher Steffen Hebestreit warnte angesichts der Aggression vor einer „Verrohung der politischen Sitten“, sie sollte „keinem egal sein“.
Söders Stillosigkeit
Die offen rechtsextreme AfD lebt genau von dieser Verrohung. Das zeigte sie jetzt wieder bei ihrem Treffen in Osterhofen, als die Nachricht von den Angriffen in Biberach zu geifernder Aufwallung führte. Indessen verfiel der CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder vor einem johlenden Passauer Publikum in aufgeregte Anpassungsversuche, indem er die aus Ostdeutschland stammende Bundesumweltministerin Steffi Lemke mit der verstorbenen Ehefrau des früheren DDR-Staatsratsvorsitzenden verglich: eine „grüne Margot Honecker“.
Politische Sitten – nicht nur der AfD, auch jemandem wie Söder sind sie egal. Wer so über Politikerinnen und Politiker spricht, gleich welcher Partei, ob am Aschermittwoch oder zu Ostern, stachelt an, peitscht auf und schürt Aggressionen.
Schäubles Vermächtnis
In einem Nachruf zum Tod von Wolfgang Schäuble steht, dass zu den großen Vermächtnissen des ehemaligen CDU-Politikers die Lehre von Maß und Mitte gehöre: Maß halten (das, nicht die). Nicht ins Extreme steigern. Auf den Straßen wie in der Politik geht dieser Wert allzu häufig verloren.