Nahost-Konflikt

Baerbocks fataler Fehler

Deutschlands Enthaltung bei der UN-Resolution zum Nahen Osten stürzt die deutsche Außenpolitik in ein Desaster. Die Folgen für den Zusammenhalt Europas wiegen schwer.

Außenministerin Annalena Baerbock steht in der Kritik: Die UN-Vollversammlung in New York hatte am Freitag mit großer Mehrheit eine "sofortige humanitäre Waffenruhe" im Gazastreifen gefordert. Während Frankreich für die Resolution stimmte, enthielten sich Deutschland, Italien und Großbritannien der Stimme. | © IMAGO/photothek

Thomas Seim
29.10.2023 | 29.10.2023, 17:39

Deutschland ist ein aufgeklärtes Land. Es ist gegen Kriege, insbesondere gegen Angriffskriege. Es ist für das Existenzrecht Israels, das zu seiner Staatsräson erklärt ist. Zugleich plädiert es für einen souveränen Palästinenserstaat, um damit dauerhaften Frieden in Nahost zu etablieren. Deutschland ist mit Frankreich eine der beiden Garantiemächte, die die EU dauerhaft als Zentrum demokratischer Werte und des Friedens ausbauen wollen.

Zweimal schon ist es gelungen, die Uno mit großer Mehrheit zu einer Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg zu bewegen. Nun aber steht diese Außenpolitik der Moral von Annalena Baerbock vor einem Scherbenhaufen. Der Grund dafür ist ihre Enthaltung bei einer UN-Resolution, in der Israel zu einer Feuerpause aufgefordert wird, die Verbrechen der palästinensischen Terror-Organisation Hamas dagegen nicht einmal erwähnt werden.

Selbst wenn man das als – nur misslungenen – Versuch verstehen wollte, für alle Seiten gesprächsfähig zu bleiben, sind die Folgen desaströs. Die Bilanz der Abstimmung zeigt ein gespaltenes Europa und ein wankendes Deutschland, dem gar als Motiv unterstellt wird, man habe dies vor allem so entschieden, um bei der nächsten Wahl die Chancen für eine Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat nicht zu schwächen.

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Schlimmer geht es kaum

Europas Führungsmächte, Deutschland und Frankreich, die die EU als gleichwertiges Machtzentrum zwischen den USA auf der einen und China/Russland auf der anderen Seite sehen, haben gespalten abgestimmt. Österreich – ausgerechnet – hat seine historische Verantwortung gegenüber Israel gesehen und gegen die Resolution gestimmt. Deutschland dagegen – historisch verantwortlich für den Holocaust an mindestens sechs Millionen Juden – schafft nicht mehr als eine Enthaltung. Frankreich stimmt für die Resolution. Schlimmer geht es kaum.

Sicher: Man darf nicht unterschätzen, wie sehr die Stimmung in Europa gegen die Politik eines Ministerpräsidenten Netanjahu kippt, der daran arbeitet, die einzige Demokratie in Nahost auszuhöhlen und nun den Krieg nach Gaza offenbar auch in die Zivilbevölkerung trägt. In diesem Konflikt allerdings muss Israel gerade in der Uno auf Deutschlands Staatsräson vertrauen dürfen.

Noch beim EU-Gipfel in Brüssel hatte Bundeskanzler Scholz – wie man hört schon mit einiger Mühe – dafür sorgen können, dass Europa einig und solidarisch an der Seite Israels steht. Mit Baerbocks fataler Fehlentscheidung ist dies nur noch Illusion. In Moskau und Peking wird man diese Schwäche registrieren. Und in Katar. Und im Iran. Und auch in Washington. Ein Desaster.

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