Kommentar

Immer mehr kriegerische Konflikte: Herausforderung für die Demokratie

Europa darf nicht zum Punchingball Putins, Xis, des iranischen Mullah-Regimes und gegebenenfalls sogar Trumps werden. Auch nicht in diesem neuen Nahost-Krieg, meint unser Autor.

16. Oktober, Libanon, Dahaira: Granaten der israelischen Artillerie explodieren über einem libanesischen Grenzdorf. | © Hussein Malla/AP/dp

Thomas Seim
17.10.2023 | 17.10.2023, 17:39

Die Welt ist in Unordnung. Für sehr lange Zeit galt trotz zahlreicher regionaler, auch kriegerischer Konflikte und mancher Terrorakte das Gebot des Friedens. Nun schlagen die Imperien im Krieg der Mächte zurück. Der russische Überfall auf die Ukraine ebenso wie ein unmittelbar bevorstehender schwerer Nahost-Krieg und ein nach wie vor massiv drohender militärischer Konflikt mit China um Taiwan drohen der Erde mit der Schreckensvision von einem Todesstern.

Zugleich werden aus dem Moskauer TV-Sender Russia Today Forderungen nach einem Atombombentest verlautbart, mögliches Zielgebiet das Nordpolarmeer. Der Iran – bislang nicht verlässlich als Atommacht identifiziert – warnt Israel vor einem Erdbeben für den Fall eines Angriffs auf die Hamas im Gazastreifen.

Nun gehört gerade für Hierarchen und Autokraten wie Putin oder den chinesischen Präsidenten Xi das Drohen mit militärischer Eskalation zum politischen Alltagsgeschäft. Und im Gespräch legt Putin Wert darauf, dass er das Szenario eines Atomkriegs für Unsinn halte. Zugleich allerdings ruft er es damit auf und verbindet es mit der kaum klammheimlichen Drohung, dass er es für blanken Unsinn halte, sich mit Russland und China gleichzeitig anzulegen.

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Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und Chinas Präsident Xi Jinping streben eine Neuordnung der Welt an. - © SERGEI SAVOSTYANOV
Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und Chinas Präsident Xi Jinping streben eine Neuordnung der Welt an. | © SERGEI SAVOSTYANOV

Putin und Xi streben eine Neuordnung der Welt an. Sie sieht die Begrenzung des US-Einflusses in den diversen Regionen vor, in denen Washington bislang eine Art Vorherrschaft durchsetzt. Dagegen setzen sie Bündnisse, in denen sich China und Russland als Partner gegen die angebliche Kolonialmacht USA zu etablieren versucht. Das gilt für weite Teile Afrikas ebenso wie für die Schwellenländer Brasilien, Indien oder Südafrika. Zusätzlich schüren sie Konflikte wie den zwischen Nord- und Südkorea und legen neue Bündnisse für Waffenlieferungen aus dem vom Westen geächteten Nordkorea nach Russland an. Gleichzeitig eskalieren neue Konflikte zwischen Serben und Kosovaren, die im Blick auf eine Erweiterung der EU eigentlich auf Frieden ausgerichtet sein sollten.

Der sogenannte Westen, der Zusammenschluss der Weltmacht USA mit den Demokratien des europäischen Festlandes, ist darauf nur unzureichend vorbereitet. Im Gegenteil verheddern sich die demokratisch gewählten, aber inhaltlich mit nahezu gegensätzlichen Gesellschaftsentwürfen agierenden Regierungen der Hauptstädte der EU im Streit um die Verteilung von Flüchtlingen und die Energieversorgung. Dazu hat Europa für den demokratischen US-Partner – wie der ehemalige US-Außenminister Kissinger einst formulierte – noch immer keine Telefonnummer.

Dafür aber ist die schnelle Reise von Bundeskanzler Scholz nach Israel richtig und sehr gut. Dies um so mehr, als sie offensichtlich abgestimmt ist mit den US-Konsultationen in der Region. Schon in der zweiten Wochenhälfte wird auch US-Präsident Biden Gespräche aufnehmen. Das alles trägt hoffentlich zur Besinnung bei. Jeder Tag ohne Bodenoffensive gilt den Gästen aus Europa und den USA als guter Tag. Dies um so mehr, als bereits jetzt erkennbar ist, wie groß die Pulverfässer in der gesamten arabischen Staatswelt sind, falls es zu einer blutigen Offensive Israels kommen sollte. Brechen aber Länder wie Ägypten oder Jordanien weg, die sich ernste Sorgen um den „Druck der Straße“ in ihren Staaten machen, ist Entspannung kaum noch vorstellbar – mit allen politischen und wirtschaftlichen Folgen auch für Europa.

Die Herausforderung der Zeitenwende sollte angenommen werden

Es wird einen Strategiewechsel brauchen, wenn die Rückkehr zum Guten mit einer neuen Weltordnung neuen Frieden bringen soll. Eine davon lautet: Europa darf nicht zum Punchingball Putins, Xis, des iranischen Mullah-Regimes und gegebenenfalls sogar Trumps werden. Auch nicht in diesem neuen Nahost-Krieg. Dagegen braucht es auch eine militärische Einheit von französischen und – vergrößerten – deutschen Verbänden, am besten unter Einschluss Großbritanniens und womöglich gar auch unter Einschluss der dortigen Atomstreitkräfte.

Eine „Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes“, hat Bundeskanzler Scholz das in seiner Regierungserklärung genannt. Es ist an der Zeit, diese Herausforderung anzunehmen.

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