
Die Konfrontation im Ukraine-Konflikt spitzt sich dramatisch zu. Der deutlichste Beleg dafür ist weder die abstruse Schuldverteilung von Kremlchef Putin in seiner Rede an die russische Nation noch der machtvolle Auftritt des US-Präsidenten Biden in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Der deutlichste Beleg kommt aus China. Dort warnt der mächtigste Präsident seit Mao Tse Tung, Xi Jinping, sein Land sei „tief besorgt, dass der Konflikt eskaliert und sogar außer Kontrolle geraten könnte".
Außer Kontrolle – das ist genau das, was im Ukraine-Konflikt nicht geschehen darf. Mehrfach standen sich Ost und West bereits in schier unauflöslich scheinenden Situationen gegenüber. Mehrfach spielten die Herrscher im Kreml dabei auf die Militär-Gewalt zur Durchsetzung ihrer Macht. Ganz gleich, ob man auf die ehemalige DDR 1953, Ungarn 1956 oder den Prager Frühling 1968 schaut – stets endeten die Befreiungsversuche der Bürger in den Ländern durch blutige Scharmützel von Soldaten unter sowjetischer Führung. Damals, auch das muss man aus bitterer Erfahrung festhalten, schaute der freie Westen zu, mischte sich nicht ein. Mehrere Narben blieben aus dieser Zeit auch auf dem Führungsanspruch der Demokratie in diesen Ländern.
Das ist in der Ukraine anders. Hier gibt es – bei allen Unwägbarkeiten der inneren Führung und Unsicherheiten der demokratischen Stabilität – eine durch freie Wahlen legitimierte Regierung. Gegen sie wird ein verbrecherischer Angriffskrieg geführt. Hier hilft der demokratische Westen, auch wenn er sich gelegentlich schwer zu tun scheint. Einstweilen tut er dies nur mit Waffen. Aber – das beurteilt Peking nicht falsch – die Lage spitzt sich zu.
Sie ist heute am ehesten vergleichbar mit der Kuba-Krise 1962. Auch damals standen sich Atomwaffen-Staaten in totaler Konfrontation gegenüber. Auch damals gab es Versuche auf beiden Seiten, die Machtfrage notfalls mit diesen Waffen zu entscheiden. Es gelang, dies abzuwenden, weil Moskau die Aussichtslosigkeit dieser Lage erkannte und akzeptierte – und weil die USA bei aller Härte in ihrer Haltung am Ende auch die Kremlherrscher ihr Gesicht halbwegs wahren ließen.
Brasiliens Präsident Lula da Silva hat vor drei Wochen Bundeskanzler Scholz wissen lassen, dass er mit China eine Beilegung des Konflikts anstrebe und anstoßen wolle. Das wird kaum reichen, auch wenn Putin die Tür zu Gesprächen einen winzigen Spalt offen gelassen hat, als er ankündigte, den atomaren Abrüstungsvertrag mit den USA zunächst nur auszusetzen und nicht aufzukündigen.
Eine Deeskalation des Konflikts indes ist gleichwohl zwingend. Ohne sie gibt es keine Sieger.