Kommentar

Olaf Scholz ein Jahr Kanzler: Bilanz ist besser als die Stimmung

Der sachliche Blick auf den Zustand des Landes und seiner Regierung muss dem Kanzler und dessen Ampel-Koalition bescheinigen, dass sie die Republik bislang gut durch die Krise gesteuert haben.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich bei seinen Ministerinnen und Ministern mit einer Schokolade der Marke „Ampelmann“ für ein Jahr Zusammenarbeit bedankt. Zum Auftakt der turnusmäßigen Kabinettssitzung lag am Mittwoch auf jedem Platz des Kabinettstischs eine Tafel der Geschmacksrichtung Zartbitter. | © Michael Kappeler

Thomas Seim
07.12.2022 | 07.12.2022, 18:00

Eine der besten Demokratien der Welt hat vor Jahresfrist einen Machtwechsel vorbildlich organisiert. Zufrieden, das zeigen Umfragen, sind die Deutschen indes nicht. Zum Jahrestag der Kanzlerwahl musste der Generalbundesanwalt das Land gar mit der Nachricht aufschrecken, dass man einen mutmaßlichen Putschversuch von Rechtsradikalen vereitelt habe.

Die Neigung der Menschen hier ist – auch jenseits der Minderheit solch‘ verirrter Putschisten und Verbrecher – groß, mit sich und der Welt unzufrieden zu sein. Der sachliche Blick auf den Zustand des Landes und seiner Regierung rechtfertigt diese generelle Unzufriedenheit nicht. Dieser Blick muss Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Drei-Parteien-Ampel-Koalition im Gegenteil bescheinigen, dass sie die Republik bislang gut durch die Krise gesteuert haben.

Eine Kurzbilanz belegt das: Der höhere Mindestlohn, das Bürgergeld, dazu ein Kriegs- und Krisenmanagement, das bei der Ausrufung der Zeitenwende durch den Kanzler nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sogar die Unionsfraktion zu stehendem Applaus trieb – das umreißt ein recht ordentliches Jahr. Dazu kommen ein 100-Milliarden-Sondervermögen der Bundeswehr, ein 200-Milliarden-Programm zur Milderung der Kriegsfolgen für die Bevölkerung, gefüllte Gasspeicher und die superschnelle Fertigstellung eines LNG-Terminals für Flüssiggas, das erfolgreiche Management des G-7-Gipfels und die Organisation eines G-20-Gipfels, auf dem die Blicke der Führer der Welt sich Rat suchend auf Scholz richteten, der immerhin die Weltmacht China dazu brachte, Putin vor dem Einsatz von Atomwaffen zu warnen.

Newsletter
Update zum Mittag
Top-News, täglich aus der Chefredaktion zusammengestellt.

Auf der Minusseite stehen der Streit um Atomkraftwerke, unbeholfene Corona-Politik, das Rüstungs- und Bundeswehr-Management. Auch die Organisation von Gaslieferungen oder beim 49-Euroticket ließ zu wünschen übrig. Aber größeren Grund zur Unzufriedenheit mit sich und der Welt haben die Deutschen nach einem Jahr Rot-Grün-Gelb nicht. Und richtig Fahrt aufnehmen kann diese Ampel-Ära wegen des Ukraine-Krieges erst in ihren verbleibenden drei Jahren. Das muss sie allerdings auch. Die Zeit für Eifersüchteleien im Regierungshandeln ist vorbei. Das politische Handwerk des Alltags muss solider werden.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil bewertet das erste Koalitionsjahr nur mit „3+“. Sein Kanzler antwortete hanseatisch-selbstbewusst auf die Frage, ob er jemals in Schule oder Studium mit „3+“ oder schlechter bewertet worden sei: „Ja, in Sport“. Nur im Sport - sollte das wohl heißen. Die mittleren Umfragewerte seiner Koalition indes bescheinigen ihm, dass auch in Sachen Kommunikation – besser: Vermittlung – von Politik noch Luft nach oben bleibt.

Kontakt zum Autor