Berlin. Es ist nachvollziehbar, dass die Politik bisher gewartet hat, die Beschränkungen für Geimpfte zu lockern oder gar aufzuheben. Lange war nicht klar, wie ansteckend diese Menschen noch sind.
Die Mehrheit der Bevölkerung hätte die als Privileg verstandene Rücknahme der Grundrechtseingriffe auch gar nicht akzeptiert. Denn der breite gesellschaftliche Konsens, die besonders gefährdeten Personengruppen zuerst zu immunisieren, bestand nur unter der Bedingung, dass Geimpfte aus der Bevorzugung keine weiteren Vorteile ableiten.
Die Lage hat sich geändert
Doch mittlerweile sieht die Lage anders aus. Der wissenschaftliche Nachweis, dass Geimpfte und Genesene sogar weniger ansteckend sind als negative Getestete, ist erbracht. Außerdem kommt die Impfkampagne endlich mit großen Schritten voran. Die letzte Priorisierungsgruppe wird bereits in einer Reihe von Ländern zur Impfung aufgerufen.
Die Zahl derjenigen, die von einer Lockerung profitieren würde, steigt täglich - und damit auch die Akzeptanz für die Aufhebung der Beschränkungen. Ohnehin ist zu erwarten, dass Gerichte eine Einschränkung von Grundrechten für Geimpfte und Genesene angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse und des Impffortschritts nicht mehr länger tolerieren.
Die auf dem Impfgipfel angekündigte Lockerung ist aber auch aus einem anderen Grund notwendig. Um in Deutschland eine Herdenimmunität zu erreichen, muss nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen bis zu 85 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Bislang geben in Umfragen aber nur rund 65 Prozent der Befragten an, sich in jedem Fall impfen zu lassen. Mit Werbekampagnen allein wird man Impfskeptiker oder Unentschlossene eher nicht überzeugen können.
Der Wegfall von Tests, die Aufhebung der Quarantänepflicht oder perspektivisch auch wieder Restaurant- und Kinobesuche dürften allerdings sehr starke Argumente sein, sich einen Ruck zu geben.