Kultur

"Die Schneekönigin" hat Premiere in Bielefeld

Andersens Märchen ist am Stadttheater Bielefeld ein kindgerechtes Fantasy-Abenteuer mit poetisch-atmosphärischen Höhepunkten

Eisige Begegnung: Kay (Jan Sabo, l.) fürchtet sich vor der Schneekönigin (Brit Dehler), deren Schlitten ein Eisbär (Alexander Ritter) zieht. | © Philipp Ottendoerfer

14.11.2016 | 14.11.2016, 13:00

Bielefeld. Die Märchen des Dänen Hans-Christian Andersen zeichnen sich, im Gegensatz zu den volkstümlichen Hausmärchen der Brüder Grimm, zumeist durch einen feinsinnigen Humor und seine meisterhafte Beobachtungsgabe aus. So verspottete er in „Des Kaisers neue Kleider" oder „Die Prinzessin auf der Erbse" den Snobismus des Adels und verhandelt in „Die kleine Meerjungfrau" und „Der standhafte Zinnsoldat" den Anpassungsdruck der bürgerlichen Gesellschaft.

„Die Schneekönigin" ist wohl sein kindgerechtestes Stück, geht es doch um die Schwierigkeit des Erwachsenwerdens und das Festhalten an den eigenen Träumen und Vorstellungen.

Henner Kallmeyers Inszenierung des Theaters Bielefeld nach der Bühnenfassung von Marco Süß beginnt mit einem Troll, der den Menschen Glassplitter in die Augen streut und sie stets nur das Schlechte sehen lässt – ein Schelm, wer angesichts der aktuellen politischen Lage Böses dabei denkt. Einer dieser Glassplitter erwischt den jungen Kay, der – seiner jugendlichen Unschuld und Kindlichkeit beraubt – sich von der sinisteren Schneekönigin in ihren Eispalast entführen lässt.

Die beherzte Nachbarstochter Gerda macht sich daraufhin auf eine abenteuerliche Suche nach ihrem besten Freund. Damit beginnt eine abenteuerliche Odyssee durch eine magische Welt voller sprechender Tiere, gefährlicher Räuber und magischer Paläste.

Getragen wird das Weihnachtsmärchen dabei von der Spielfreude der Protagonistin Natalie Mukherjee (Gerda) und ihrer Mitstreiter Jan Sabo (Kay) und Brit Dehler (Schneekönigin), die im Verlauf der Geschichte noch in gefühlt ein Dutzend anderer Rollen schlüpfen.

Beeindruckend sind aber auch Kostüme und Ausstattung von Julia Hattstein: Neben fantasievollen Tierkostümen von Rabe, Flusspferd und Rentier sticht vor allem die extravagante Garderobe der Schneekönigin – Pelzmantel, Schneeflocken-Paillettenkleid und Eiszapfen-Krone – heraus. „Wie Lady Gaga", meint eine 10-Jährige in der vierten Reihe.

Ein Rentier singt „Heimweh tut so weh"

Das aufwendige, drehbare Bühnenbild symbolisiert dabei unter Zuhilfenahme von cleveren Lichteffekten und von der Decke fallendem Herbstlaub und Schneeflocken den Verlauf der Jahreszeiten. Diese berauschende Atmosphäre macht das Märchen, das sich mit seinem slapstickhaften Humor vor allem an jüngere Kinder von 5-12 Jahren richtet, auch für ältere Zuschauer interessant.

Immer wieder fühlt man sich auch in die Geschichten und Bilderwelten neuerer Märchen wie „Ronja Räubertochter", „Die Chroniken von Narnia" oder die Harry-Potter-Reihe versetzt. Nur die Räuberszene könnte für die ganz Kleinen etwas zu gruselig sein. Atmosphärischer Höhepunkt ist das große Finale, wenn Gerda den mystischen Eispalast der Schneekönigin erreicht und zu betörend schöner Pianomusik, die einem buchstäblich Gänsehaut verursacht, im labyrinthischen Palast nach ihrem Freund sucht.

Überhaupt ist die eigens von Burkhard Niggemeier für das Stück komponierte Musik sehr fantasievoll und gelungen. Der Komponist selbst begleitet das Stück von der „Kanzel" aus mit Keyboard, während einige Akteure auch mal selbst zur Gitarre greifen.

Wenn Jan Sabo dann als Rentier verkleidet ein schwülstiges Songwriter-Pop-Lied mit dem Titel „Heimweh tut so weh" anstimmt, das auch aus der Feder von Xavier Naidoo oder Tim Bendzko hätte stammen können, und dafür nur ein „Ruhe jetzt!" der frechen Räubertochter quittiert, amüsiert das auch Zuschauer jenseits der Pubertät. Aber auch Songs wie „Ich hab ‘nen Vogel" oder „Räubern, das ist Hochkultur" zeugen von einem feinen Hintersinn, der dem cleveren Fabulierer Andersen mit Sicherheit gefallen hätte.