Weiss

Hohle Gesten
05.10.2018 | 05.10.2018, 20:00
Tina Gallach. - © Jan Fredebeul
Tina Gallach. | © Jan Fredebeul

Also meinen Mantel kann ich mir so gerade noch alleine anziehen – und auch die Tür kann ich mir selbst öffnen. Wenn Männer Manieren zeigen möchten, gibt es jede Menge anderer und auch besserer Gelegenheiten, als krampfhaft auf alte Rituale zu setzen. Und außerdem: Warum sollen nur Männer Manieren zeigen? Warum nicht auch wir Frauen?

Jemand anderem eine Tür aufzuhalten gehört unabhängig vom Geschlecht zum guten Umgang. In den Mantel kann man jemandem helfen, der alleine nicht in der Lage ist, ihn anzuziehen, einen Sitzplatz in Bus oder Bahn bietet man jemandem an, der vielleicht nicht mehr so gut stehen kann oder schwer bepackt ist. Mit diesen Gesten besudelt man sich nicht mit Ruhm, sie sind eigentlich nichts Besonderes, sondern Selbstverständlichkeiten. Und genau darum geht es doch eigentlich: Sich im täglichen Miteinander Respekt zu erweisen. Dazu gehört zum Beispiel, sich freundlich zu begrüßen, sich in Gesprächen gegenseitig aufmerksam zuzuhören und nicht nebenbei auf dem Handy herumzutippen. Dazu gehört ein freundliches Dankeschön für eine Nettigkeit – oder ein ehrliches „Verzeihung!" wenn einem ein Missgeschick passiert ist. Und dazu gehört auch das Miteinander reden für den Fall, dass es Unstimmigkeiten gibt, statt einfach draufzuhauen oder sich beleidigt zurückzuziehen und damit das Recht zu beanspruchen, die Wahrheit auf seiner Seite zu haben.

Aber nur auf große Tür-aufhalte-Gesten zu setzen und zu meinen, dass man seine Pflicht damit erfüllt hat, funktioniert nicht. Es mag Menschen geben, bei denen diese Gesten tatsächlich Ausdruck einer inneren Einstellung sind. Die sie ernst und ehrlich meinen und damit echten Respekt ausdrücken. In den meisten Fällen sind es aber aufgesetzte Automatismen – weil man es irgendwann mal so gelernt hat. Ohne die entsprechende Haltung dahinter sind das aber hohle Gesten.