Kopf der Woche

 Milena Glimbovski: „Man merkt schnell, was man wirklich braucht“

Milena Glimbovski aus Berlin gilt als Pionierin der deutschen Zero-Waste-Bewegung. Sie vermeidet Müll, vor allem Plastik.  
  Dafür hat sie gelernt, zu verzichten und minimalistisch zu leben.  
  Die 28-Jährige gibt Tipps, wie jeder einfach Müll vermeidet

Julia Fahl
14.04.2018 | 14.04.2018, 15:00
Milena Glimbovski. - © Isabell Winter
Milena Glimbovski. | © Isabell Winter

Eingeschweißte Gurken, Papp-Kaffeebecher und dünne Plastiktüten: Plastik und Müll begegnen uns überall. Wie wir ohne einfacher, gesünder und natürlicher leben können, erklärt Milena Glimbovski in ihrem Buch „Ohne Wenn und Abfall". In Berlin hat sie „Original Unverpackt" gegründet, den bekanntesten Supermarkt ohne Einwegverpackungen, und gilt als Pionierin der deutschen „Zero Waste"-Bewegung. Die 28-Jährige gibt Tipps, wie wir Müll vermeiden.

Milena, wann hast Du zuletzt etwas weggeworfen?
Milena Glimbovski:
Gerade eben. (lacht) Meine Notizen von meinem Vortrag, den ich beim Verpackungskongress gehalten habe. Ich nehme immer Schmierpapier, zerschneide das in vier Teile und mache darauf meine Notizen.

Du preist ein Leben ohne Verpackungen an. Hast Du drei Tipps, wie das funktioniert?
Glimbovski:
Erst einmal – bevor man mit großen Veränderungen anfängt – sollte man schauen, welchen Müll man verursacht. Vielleicht kann man etwas einsparen. Tipp 2: immer einen Jutebeutel dabei haben. Jutebeutel sind praktische Allrounder. Darin kann man seine Brötchen, seinen ganzen Einkauf oder gekaufte Kleidung transportieren. Tipp 3: Der Mehrweg-Coffee-to-go-Becher wird immer noch unterschätzt, ist aber sehr praktisch. Ist er auslaufsicher, kann man darin auch Suppe transportieren.

Warum ist Plastik böse?
Glimbovski:
Plastik an sich ist nicht böse. Aber Plastik wird aus einer endlichen Ressource, dem Erdöl, geschaffen. Seine Herstellung ist sehr energieaufwendig. Verglichen mit diesem Aufwand nutzen wir Plastik nur sehr kurz, und es landet schnell wieder auf dem Müll. Es wird gar nicht richtig recycelt, sondern verbrannt oder ins Ausland geschifft. 32 Prozent der Verpackungen weltweit gelangen früher oder später in die Umwelt. Das ist ganz schön viel!

Im Buch schreibst Du: „Plastik an sich ist nicht das Problem, sondern unsere eigene Gemütlichkeit."
Glimbovski:
Genau. Die Menschen sind Gewohnheitstiere. Alles, was mit einer Veränderung einhergeht, ist für uns ein größerer Aufwand. Und die Industrie versucht, es den Menschen immer einfacher zu machen. Sie entwickelt mehr Convenience-Produkte, die für mehr Schnelligkeit und Leichtigkeit stehen. Aber es wird nicht geschaut, was insgesamt für uns und die Umwelt besser wäre.

Aber das mit dem Abfall ist doch eigentlich kein Problem, Deutschland trennt schließlich erfolgreich seinen Müll.
Glimbovski:
Das stimmt leider so nicht ganz. Unser Abfallwirtschaftssystem ist zwar eines der modernsten der Welt. Das Problem ist aber, dass immer noch viele Menschen ihren Müll falsch trennen. Vieles landet im Restmüll und wird verbrannt. Oder wandert fälschlicherweise in den Gelben Sack. Dann kann der Müll nicht vernünftig getrennt werden. Würden wir uns genauso viele Gedanken über die Entsorgung eines Produktes wie über dessen Anschaffung machen, wäre der Umwelt schon geholfen.

Welches war der Auslöser, dass Du „Original Unverpackt" ins Leben gerufen hast?
Glimbovski:
Ich hatte die Idee schon lange, weil ich schon sehr ökologisch gelebt und mich täglich über den ganzen Müll aufgeregt habe. Dann habe ich eines Abends mit meiner Freundin Sara gekocht. Wir haben uns vorgenommen, dass wir das gemeinsam ausprobieren. Alleine setzt man wenig um, aber wenn man darüber spricht, dann geht man es auch an.

Also ist der Austausch sehr wichtig für die Zero-Waste-Bewegung?
Glimbovski:
Genau. Die Community ist sehr bereichernd. Auf dem Verpackungskongress habe ich erzählt, dass auch ich nicht perfekt müllfrei lebe. Jetzt, in der Schwangerschaft, habe ich ganz oft Heißhunger auf Hüttenkäse. Das ist manchmal das Einzige, was ich essen kann. Ich kaufe deshalb verpackten Hüttenkäse. Ein Herr hat sich bei mir gemeldet, er hätte ein einfaches Rezept für mich, mit dem ich Hüttenkäse selbst machen kann. Das probiere ich aus!

Hast Du zwischenzeitlich gezweifelt?
Glimbovski:
Ja, es gab Momente, in denen ich gar nicht mehr weiter wusste. Der erste Moment war kurz nach der Eröffnung des Ladens. Wir hatten viele Besucher, aber sie haben wenig gekauft. Aber man kann uns nicht unterstützen und auch nicht die Welt retten, wenn man nur vorbeikommt und Fotos macht. Da habe ich sehr am Erfolg des Geschäfts gezweifelt. Und dann hatte ich kurz danach einen Burnout. Ich habe gemerkt, dass ich meine Grenzen längst überschritten hatte. Ich wusste einfach nicht mehr ein noch aus. Mittlerweile aber hat sich Stabilität eingestellt. Jetzt, nach dreieinhalb Jahren, läuft der Laden gut. Ich habe ein tolles Team und eine Filialleiterin, die den Laden schmeißt. Ein schönes Gefühl!

Im Buch schreibst du: „Zero Waste ist das Ziel, aber nicht unbedingt der Weg. Keiner kann seinen Müll sofort von hundert auf null runterfahren." Wie können Menschen im Kleinen anfangen?
Glimbovski:
Ich würde mir erst immer nur einen Lebensbereich oder ein Zimmer vornehmen. Beispiele: Ich versuche meinen Lebensmitteleinkauf möglichst verpackungsfrei zu gestalten. Oder ich fange mit dem Kleiderschrank an, sortiere aus und nehme mir vor, nur noch in Secondhand-Läden einzukaufen. Wenn man das Gefühl hat, dass das gut klappt, kann man den Bereich ausdehnen.

Zero Waste geht oft mit Verzicht einher: Es gibt nicht jeden Joghurt im Glas, es gibt oft keine Alternativen zu verpackten Produkten. Wie geht man damit um?
Glimbovski:
Es ist zum Teil Verzicht, das stimmt. Man muss sich umgewöhnen, muss andere Produkte kaufen oder man fängt an, selbst Lebensmittel herzustellen. Wenn man merkt, dass man auf bestimmte Dinge nicht verzichten kann, weil sie einem wichtig sind, dann nutzt man diese erst einmal weiter. Man merkt schnell, was man wirklich braucht und was nicht – und wie wenig man letztendlich braucht. Das ist ein schöner und befreiender Gedanke. Man sieht, wie unabhängig man sein kann.

Wenn es einem ernst ist, prüft man genau, unter welchen Umständen ein Produkt entstanden ist.
Glimbovski:
Ja. Das Offensichtlichste, auf das die Menschen achten, ist die Verpackung. Ich finde aber, dass die Verpackung gar nicht das Schlimmste ist. Angenommen man hat die Wahl zwischen einem Produkt, das in Plastik eingepackt, aber unter fairen Bedingungen und mit Ökostrom produziert worden ist, und einem Produkt, das eine Kartonverpackung hat, aber unter nicht fairen Bedingungen im Ausland gefertigt wurde – dann muss man abwägen, was einem wichtiger ist. Wenn wir uns vor dem Kauf fragen, ob das wirklich sein muss, dann ist das schon viel wert.

Bevor man ein Leben ohne Müll führen kann, muss man ausmisten – und produziert Müll. Ist das nicht ein Widerspruch?
Glimbovski (lacht):
Ja, aber das muss sein. Ausmisten bedeutet ja auch, dass man Dinge verkaufen oder verschenken kann. Ich empfehle das große Ausmisten zu Beginn als Bestandsaufnahme, damit beim Aufräumen zwischendurch nicht immer wieder viel Müll entsteht, der einen deprimiert – nicht, dass man den Eindruck hat, dass man keine Fortschritte macht.

Du vermeidest nicht nur Müll, sondern verzichtest auch auf andere Dinge. Warum ist Dir Minimalismus wichtig?
Glimbovski:
Ich habe den Laden, einen Verlag, ich habe ein Privatleben und ich habe bald auch ein Baby. Das erfordert alles viel Zeit und Aufmerksamkeit. Ich habe deshalb das Gefühl, dass mein Gehirn nicht die Kapazitäten hat, um jeden Morgen aus 30 verschiedenen Outfits eines zusammenzustellen. Minimalismus ermöglicht es mir, dass ich mich auf schöne Dinge fokussieren kann.

Dir ist auch wichtig, dass Du regional und saisonal einkaufst. Warum?
Glimbovski:
Das gehört zum Großen und Ganzen dazu. Wenn ich Sachen regional einkaufe, sind sie weniger verpackt und es entsteht weniger Müll. Übrigens habe ich vorher keine Bioprodukte gekauft, weil sie mir oft zu teuer waren. Aber dann habe ich mich damit beschäftigt – und es hat Klick gemacht, warum Bio für die Umwelt besser ist.

Warum sind ausgerechnet Bioprodukte oft in Plastik eingepackt?
Glimbovski:
Zum einen sollen die Kassierer erkennen können, dass es ein Bioprodukt ist. Logischer wäre natürlich, dass man stattdessen die konventionellen Produkte verpackt. Kommen wir zu Grund 2: Die Händler bilden sich ein, dass die Kunden eine Trennung der Bioware von der mit Pestiziden behandelten konventionellen Ware wollen. Stimmt ja auch. Nur muss man dafür nicht Plastik verwenden. Alternativ kann man übrigens beim Biobauern, auf dem Markt oder in Biosupermärkten einkaufen – dort sind die Produkte unverpackt.

Vor welchen Herausforderungen bei der Müllvermeidung stehst Du im Alltag?
Glimbovski:
Ich versuche wegen meiner Laktoseintoleranz Milchprodukte zu vermeiden. Aber es ist total schwierig, unverpackte Milchalternativen zu kaufen. Die sind Mangelware.

Gibt es Momente, in denen Du schwach wirst und verpackte Produkte einkaufst?
Glimbovski:
Die gibt es. Medikamente kaufe ich verpackt, wenn ich sie brauche. Aber unterwegs spontan einen Schokoriegel kaufen – da habe ich gelernt zu verzichten.

Hast Du einen Liebling unter den Zero-Waste-Produkten?
Glimbovski:
Frauen empfehle ich die Menstruationstasse als Tampon-
ersatz. Ich bin ein riesengroßer Fan davon, weil sie so einfach in der Handhabung ist, lange hält und man Geld spart.

Du hast Deine Geschichte als Buch veröffentlicht – dabei sind Bücher ja nicht Zero Waste . . .
Glimbovski:
(lacht) Bücher haben für mich so eine emotionale Bedeutung, dass ich sie nie infrage gestellt habe. Denn Bücher vermitteln Wissen – und Wissen ist das, was die Menschheit voranbringt. Außerdem kann man Bücher ausleihen, statt sie zu kaufen. Man kann sie verschenken, wenn man sie ausgelesen hat. Man muss sie ja nicht wegwerfen. Ich lese viele E-Books, aber besonders Sachbücher lese ich gerne analog.

Gibt es Ansichten in der Zero-Waste-Bewegung, die Dir zu radikal sind?
Glimbovski:
Ja, gibt es! Die einen übertreiben es und verzichten auf Klopapier. Das finde ich unnötig. Klopapier besteht oft aus recyceltem Papier und hat dementsprechend eine gute Ökobilanz. Und dann gibt es Menschen, die sagen, dass ein Kind das Allerschlimmste ist, was man der Umwelt antun kann. Weil es ein weiterer Mensch ist, der über seine Verhältnissen lebt und einen CO2-Fußabdruck hinterlässt. Ich finde es sehr radikal, wenn jemand der Umwelt zuliebe auf Kinder verzichtet.

Was wünscht Du Dir für die Zero-Waste-Zukunft?
Glimbovski:
Ich wünsche mir, dass die Menschen sich mehr mit Ökobilanzen beschäftigen und mehr das große Ganze sehen. Dass sie verstehen, dass es ein Widerspruch ist, wenn sie auf Müll verzichten, dafür aber dreimal im Jahr nach Bali fliegen. Und es ist wichtig, dass in Schulen der richtige Umgang mit der Umwelt ausführlicher gelehrt wird. Integralrechnungen sind irrelevant für das Überleben – aber nicht unsere Umwelt!

INFORMATION


Zur Person

Milena Glimbovski wurde 1990 in Sibirien geboren. Im Alter von 22 Jahren gründete sie den Supermarkt „Original Unverpackt" in Berlin. Ende 2017 erschien ihr Buch „Ohne Wenn und Abfall – Wie ich dem Verpackungswahn entkam" (KiWi-Taschenbuch, 12,99 Euro). Glimbovski lebt ohne Müll in Berlin-Neukölln – und erwartet ihr erstes Kind. Das wird sie in Stoffwindeln wickeln.