Für viele ist Harald Krassnitzer der typische Österreicher. Schließlich spielt er im Wiener Tatort seit einer gefühlten Ewigkeit den Ermittler Moritz Eisner. Was auf den ersten Blick so logisch wirkt, ist in Wirklichkeit ganz anders. Krassnitzer lebt seit fast 20 Jahren in Wuppertal.
Herr Krassnitzer, am 27. August eröffnen Sie mit dem Wiener Team und dem Film „Virus" die neue Tatort-Saison. Ist das ein unliebsamer Sendeplatz direkt nach der Sommerpause?
Harald Krassnitzer: Es ist mir gelinde gesagt relativ wurscht. Denn erstens habe ich keinen Einfluss darauf und zweitens mache ich mir keine Gedanken, ob das jetzt der Saisonstart ist oder nicht. Es ist ein Sendeplatz, fertig, aus. Ich habe keine Einflussnahme darauf und es würde auch nicht zu mir passen, wenn ich mir darüber Gedanken mache.
Schauen Sie nach Ihren Filmen auf Quoten oder Reaktionen?
Krassnitzer: Zumindest versuche ich, die Quoten sehr weit von mir entfernt zu halten. Das sind sehr abstrakte Zahlen und ich merke manchmal bei Kollegen, was es für Auswirkungen hat, sich damit viel zu befassen. Reaktion, ja natürlich höre ich mir an, wo Kritikpunkte sind und dann versucht man immer, sie nachzuvollziehen und erkennt vielleicht, dass in der Struktur auch mal etwas geändert werden muss.
Zur Person
Harald Krassnitzer (56) wurde im österreichischen Grödig bei Salzburg geboren und entschied sich nach einer Ausbildung zum Speditionskaufmann für die Schauspielerei. Er absolvierte eine Schauspielausbildung an der Elisabethbühne in Salzburg und spielte im Anschluss viel Theater. Seit 1995 setzt er seine Priorität beim Fernsehen und verkörpert seit 1999 im Wiener Tatort den Oberstleutnant Moritz Eisner. Krassnitzer ist seit 2009 mit der deutschen Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer (51) verheiratet, mit der er zuvor bereits seit 2000 liiert war. Gemeinsam leben sie im Wuppertaler Stadtteil Beyenburg. Am 27. August um 20.15 Uhr läuft der nächste Tatort mit Harald Krassnitzer. Der Film „Virus" beschäftigt sich mit dem Thema Ebola.Quoten sind im Fernsehen wichtig, aber sind sie nicht sehr relativ?
Krassnitzer: Absolut. Wenn man die Rahmenbedingungen einer Quote betrachtet, waren viele Bundesländer vielleicht noch im Urlaub oder da war noch dieses oder jenes Weltereignis oder eine Katastrophe oder ein ganz wichtiges Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft. Da relativieren sich die Zahlen ganz schnell. Deswegen will und kann ich mich damit nicht auseinandersetzen. Ich freue mich aber natürlich, wenn die Quoten gut sind.
Der Tatort versucht häufig, aktuelle Themen aufzugreifen. Wenn Sie ein Drehbuch bekommen, gibt es dann auch mal den Gedanken: Puh, das ist jetzt aber ziemlich weit von meiner Realität entfernt?
Krassnitzer: Um Gottes Willen, ja. Aber es wäre doch auch schrecklich, wenn mein Urteil immer damit zusammenhängen würde, was in meinem Leben so passiert. Das wäre ja fast schon ein erbärmlich eingeschränkter Blickwinkel. Da gibt es Gott sei Dank ein sehr gutes Team und eine gute Zusammenarbeit mit uns.
Wie kann man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?
Krassnitzer: Wir reden natürlich über das Drehbuch und da die eigenen Befindlichkeiten auszuschließen, ist ganz wichtig. Man liest das sehr professionell und schaut, ob die Geschichte einen Spannungsgehalt hat. Ob sie das hat, was wir brauchen und wollen. Da kommt es zu einer kreativen und konstruktiven Auseinandersetzung mit der Redaktion. Natürlich gibt es dann auch mal ein Buch, bei dem man sagt: Das hat unseren Ton jetzt überhaupt nicht getroffen. Da können wir gar nichts mit anfangen. Deswegen kommen immer mehrere Bücher an den Start und man versucht eins zu finden, das wir thematisch alle gut finden. Manchmal fällt man auch direkt in so ein Buch hinein und kommt gar nicht mehr davon los. Es gab aber auch schon Fälle, da hat man gesagt: Freunde, da weiß ich doch schon nach Seite zehn, wo die Reise hingeht, das ist eher langweilig – da müssen wir nochmal dran arbeiten.
Es ist ihr 41. Tatort. Hat man da die Zahl 50 im Hinterkopf?
Krassnitzer: Ich bin immer wieder erstaunt, mit diesen Zahlen konfrontiert zu werden. Damit kann ich ganz einfach nichts anfangen. Ich mache keine Strichliste. Ich habe diese Unmittelbarkeit, wenn ich das Drehbuch bekomme, sage meine Sachen dazu und dann beginnt die wirkliche Arbeit am ersten Drehtag um 6 Uhr früh. Dann geht es über 21, 22 Tage. Dort zu stehen, täglich mit der Kamera, mit dem Partner zu spielen und herauszukitzeln, wie man eine Story besser machen kann – das macht mir am meisten Spaß. Alles drumherum, ob das nun der 41., der 50. oder der 2. Film ist, das ist für mich nicht greifbar und uninteressant.
Ihr Einstellung, dass solche Zahlen Sie nicht interessieren und, dass es bei den Drehbüchern niemals auf eigene Befindlichkeiten ankommen darf, das spricht schon von einer ausgeprägten Uneitelkeit. Sind sie ein sehr gelassener Mensch?
Krassnitzer: Ja schon. Ich finde das, was sie da gerade beschrieben haben, dieses sich über solche Zahlen zu profilieren, unglaublich langweilig. Ich kann damit nichts anfangen. Das ist doch nicht der Beruf. Der Beruf ist das Rausgucken und ein Sensorium zu entwickeln, was da läuft oder was da ist, wie du eine Pointe spielst oder eine Geschichte baust. Das finde ich spannend. Und ich finde es auch schön, anderen dabei zuzuschauen, wie sie das machen und sich mit ihnen zu freuen, wenn etwas gut gelingt.
Was hat im persönlichen Rahmen für Sie einen besonderen Wert. Wo können Sie zum Beispiel richtig abschalten?
Krassnitzer: Um ein aktuelles Beispiel zu geben: Bei der Premiere der Meistersinger in Bayreuth. Da kommt man rein, sitzt auf harten Stühlen, die eine Sitzfläche bieten in deren Vergleich die Holzklasse bei EasyJet ein Großraumbüro ist und trotzdem bin ich in dem Moment, in dem der erste Ton der Ouvertüre erklingt, weg und bin geflasht. Ich spüre nicht eine Sekunde, ob es schmerzhaft oder unbequem ist wo ich sitze, sondern ich bin in dieser Musik und der Inszenierung. Wenn es gelingt, dass mich jemand so verführen kann und mich in einen Bereich führt, in dem ich mich hinterfragen muss oder schauen muss, wie ich das dort auf der Bühne bewerten kann, dann finde ich das total spannend und schön. Das geht mir oft auch bei einem guten Buch, einem außergewöhnlichen Film oder einem interessanten Gespräch so.
Erholen Sie sich auch besonders gut in Ihrer Wahlheimat Wuppertal-Beyenburg, wo Sie seit 17 Jahren leben?
Krassnitzer: Wuppertal ist für mich wirklich ein Kleinod. Ein Rohdiamant, den ich bestaune. Es ist keine große Stadt, keine laute Stadt, es ist keine Eventstadt. Sie brüllt nicht, sie schreit nicht und versucht nicht die ganze Zeit, irgendetwas zu sein, das sie nicht ist. Sie ist, was sie ist. Es ist keine reiche Stadt und dort leben viele Menschen, die nicht zwingend immer auf die Sonnenseite des Lebens gefallen sind. Aber sie haben eine bestimmte Art, sich mit ihrem Schicksal abzugeben. Es gibt dort eine Reihe von Kleinodien, wo du dich zurückziehen kannst und tolle Menschen triffst, mit denen sich interessante Gespräche ergeben. Das ist etwas, das mir sehr gut tut.
Gibt es denn etwas Österreichisches, das sie in Wuppertal vermissen und etwas aus dem Bergischen Land, das sie in Österreich vermissen?
Krassnitzer: Eigentlich nicht. Das liegt aber auch daran, dass ich wahrscheinlich einer der größten Lebensmittelexporteure Österreichs bin.
Was wird denn da so exportiert?
Krassnitzer: Das geht absurderweise von Fleisch über Wein bis Brot und Kaffee. Die Sachen sind bei uns gelagert, aber mittlerweile stelle ich fest, dass man das in derselben Qualität und manchmal noch besser in Wuppertal bekommt. Ich vermisse da auf beiden Seiten nichts und genieße es, in meine Wuppertaler Stammbäckerei zu gehen. Die hat nur vier oder fünf Filialen und immer kommt man mit zu viel Brot raus, weil alles so gut aussieht und man es unbedingt kosten muss.
Dabei ist Brot ja angeblich gar nicht so gesund. Tun Sie etwas Bestimmtes für Ihre allgemeine Gesundheit?
Krassnitzer: Zumindest bei der Ernährung tue ich sehr viel und ernähre mich sehr bewusst. Ich habe manchmal ein bisschen zu wenig Bewegung, was auch damit zu tun hat, dass Drehorte nicht immer Wellnessfarmen mit angeschlossenem Fitnessstudio sind. Da hat man leider nicht immer die Zeit, dem Sport nachzugehen oder einfach entspannt unterwegs zu sein. Das bleibt eben für Zuhause vorbehalten, wo es keine Drehtage mit 13 Stunden Arbeit gibt. Da kann ich mich dann auf das Fahrrad schwingen und ein paar Runden drehen. Das ist das einzige Manko, wo ich manchmal denke: Ich hätte wirklich gerne mehr Zeit, um Sport zu machen.
Stimmt es, dass Sie jeden Drehort zu Beginn mit dem Fahrrad erkunden?
Krassnitzer: Nicht zwingend mit dem Rad, aber ich versuche immer eine umfangreiche Tour zu machen und eine Ortskenntnis zu bekommen. Mir ist es wichtig zu wissen, wo ich überhaupt verankert bin und wo ich mich bewege. Ich möchte mir meinen Eindruck nicht nur über die Fahrten zwischen Flughafen, Hotel und Drehort machen. Deswegen versuche ich, über den Tellerrand herauszuschauen.
Wie wichtig sind private Auszeiten für Sie?
Krassnitzer: Die brauche ich zwischendurch einfach. Dann liegt das Handy an der Seite und ich bin nicht erreichbar.
Woher kommt das?
Krassnitzer: Ich finde, dass das Handy manchmal eine nervige Angelegenheit ist. Mich berauschen diese elek
tronischen Kommunikationsmittel nicht wirklich. Man verschwendet manchmal mehr Zeit mit Mails und SMS als ein anständiges Gespräch zu führen. Ich komme ja noch aus einer Zeit, in der man Verabredungen unmittelbar getroffen hat. Das war ein Anruf und alle wussten Bescheid. Vor Ort musste man nicht noch 14mal schreiben: Wo bist du denn? Bist du denn schon da? Nein ich steige grad aus dem Flieger. Jetzt stehe ich am Gepäckband. Ja, das dauert hier wohl noch zehn Minuten. Du wusstest um diese Vorgänge und musstest sie nicht kommentieren. Deswegen nehme ich mir, manchmal auch zum Ärgernis meiner Agentur oder anderer Leute, die mich erreichen wollen, diese Auszeit.
Und wie lange dauert so eine Phase?
Krassnitzer: Manchmal einen Tag, manchmal auch zwei, selten länger. Dann bin ich aber auch mit einem Thema beschäftigt, das mich interessiert und möchte mich nicht ablenken lassen. Auch bei der Arbeit reduziere ich die Handynutzung sehr. Da schaue ich dann in der Mittagspause mal drauf, aber so lang kein Hilfecode drauf ist, reicht es für mich auch, wenn ich am Abend schaue, was los war. Dieses ständige Herumscrollen und online sein, das ist nicht meins.