Kopf der Woche

Markus Kuhn: „Klitschko fragt auch niemand: Hast du Angst?“

In der Nacht auf Montag findet mit dem Super Bowl das größte Einzelsportereignis der Welt statt. Ex-NFL-Profi Markus Kuhn erzählt von kurzen Karrieren, veganer Ernährung und einem baldigen Studium

Markus Kuhn, hier im Dress der New England Patriots, die ihn nach einem Probetraining vor der Saison nicht unter Vertrag nahmen - und jetzt im Super Bowl stehen. | © Imago

Björn Vahle
05.02.2017 | 05.02.2017, 08:14

Herr Kuhn, Sie kommentieren für das deutsche Fernsehen den Super Bowl, in dem sie selbst hätten stehen können. Schmerzt Sie das?
Markus Kuhn:
Ach, so denke ich daran gar nicht. Die Patriots haben in jedem Jahr eine hohe Chance, in den Super Bowl zu kommen. Das war ja auch ein Grund, warum ich zu ihnen wollte. Mir war damals also bewusst, dass es relativ schwierig werden würde, in den Kader zu kommen. Ich gucke auf jeden Fall nicht mit einem weinenden Auge hin. Außerdem habe ich die Mannschaft gut kennengelernt, das hilft mir für den Job als Experte.

Sie sagten damals, man habe Ihnen gutes Feedback gegeben.
Kuhn:
Bill Belichick (Trainer der Patriots, Anm. d. Red.) hat ein paar gute Worte über mich verloren. Von einem Trainer wie ihm gelobt zu werden, ehrt einen natürlich sehr. Von so erfahrenen Profis nimmt man unheimlich viel mit, auf dem Feld aber auch für die Arbeitseinstellung.

Markus Kuhn - © Imago
Markus Kuhn | © Imago

Trotzdem waren Sie ein Jahr lang nicht in der NFL aktiv. Wie lebte es sich als arbeitsloser Profi?
Kuhn:
(lacht) Als Arbeitsloser habe ich mich eigentlich nicht gefühlt. Ich hatte während der Saison auf jeden Fall mehr Zeit als in den vergangenen zehn Jahren. Da ist man gewöhnt, jeden Tag zehn bis zwölf Stunden eingespannt zu sein. Aber mir ist auch so nicht langweilig geworden.

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Super Bowl im TV

Im Super Bowl 51 stehen sich am Sonntag, 5. Februar, die New England Patriots und die Atlanta Falcons gegenüber. Sat.1 überträgt das größte Einzelsportevent der Welt ab 22.55 Uhr (Spielbeginn 0.30 Uhr) live. Ab 20.15 Uhr gibt es eine Countdown-Show auf ProSieben Maxx. Die Moderatoren Frank Buschmann, Patrick Esume und Experte Markus Kuhn kommentieren das Spiel. Beide Sendungen gibt es auch im Livestream auf ran.de.

Wie sahen Ihre Tage denn vor dem freien Jahr aus?
Kuhn:
Es ist jedenfalls nicht wie in anderen Sportarten, dass man zum Trainingsgelände kommt, zwei, drei Stunden auf dem Feld steht und dann wieder nach Hause geht. Bei der Ernährung geht es weiter, da hat jeder Spieler seine Vorlieben, aber auch Pflichten. Gerade beim Football wichtig ist die Filmstudie. Sich den Gegner anzugucken, Feinheiten rauszufinden. Damit verbringen wir fast die meiste Zeit.

Bekommt man als Veganer, wie Sie es sind, von den Kollegen Sprüche zu hören, die einen Sieg lieber mit einem Steak feiern?
Kuhn:
Ich esse manchmal Fisch, versuche ansonsten aber auf tierische Produkte zu verzichten. Viele andere Sportler entfernen sich gerade auch von rotem Fleisch. Da wird man nicht ausgelacht, weil man ein bisschen mehr Gemüse auf dem Teller hat.

War es für Sie dann anspruchsvoller, als Defensiv-Spieler das nötige Gewicht zu halten?
Kuhn:
Ganz klar. Man muss bei diesem Leistungsaufwand unglaublich viele Kalorien zu sich nehmen. Und wenn man da besonders auf Fleisch verzichtet, muss man ein ganz anderes Volumen an Nahrung zu sich nehmen. Das kann auch schon mal nerven.

Ist es dann nicht ein noch größerer Willensakt, auf einen Job hinzuarbeiten, von dem man nicht einmal weiß, ob man ihn bekommt? Oder wo?
Kuhn:
So schlimm war es bei mir persönlich nicht.

Keine Down-Phasen gehabt?
Kuhn:
Überhaupt nicht, ehrlich gesagt. Klar hat man, wie jeder Mensch in seinem Job, mal Tage, an denen man sich schwertut. Aber auch der Cut bei den Patriots war nicht so schlimm.

Die durchschnittliche Karriere in der NFL dauert nur etwas mehr als drei Jahre. Sie hatten vor Ihrem Karriereende schon vier gespielt, waren ohne Verein. Das muss doch Stress aufbauen.
Kuhn:
Es ist so sehr Teil unserer Karrieren als Spieler, das Gefühl, jede Sekunde entlassen werden zu können. Man sagt hier auch, NFL steht für „not for long" (deutsch: nicht für lange). Im Football kann sich die Hälfte der Kollegen in der Umkleide von der einen zur anderen Saison ändern. Gerade für Spieler, die nicht die hoch bezahlten Stars sind, ist das immer im Hinterkopf. Komplett unvorbereitet und gefrustet ist man dann einfach nicht. Deswegen war es für mich persönlich nicht so gravierend, wie man sich das vorstellt.

Haben Sie im vergangenen Jahr auch mal gedacht, dass es das für Sie als Footballspieler gewesen sein könnte?
Kuhn:
Die Entscheidung steht bereits seit ein paar Monaten fest. Ich habe nach reiflichen Überlegungen entschieden, dass ich meine aktive Karriere beenden möchte. Meine Familie und meine engsten Freunde wissen es schon seit einiger Zeit. Ich habe in den vergangenen Jahren mehr erreicht, als ich mir jemals erträumt hätte. Mit ein bisschen Glück hätte ich vielleicht noch ein, zwei Jahre spielen können. Mehr aber auch nicht.

Sie wollen zurück an die Uni. Warum?
Kuhn:
Es ist nicht so, dass ich nach vier Jahren als NFL-Profi jetzt einfach die Füße hochlegen kann und nichts mehr arbeiten brauche. Aber nach all den Jahren als Profisportler wollte ich mich auch nicht gleich in etwas Festes stürzen, sondern mir die Zeit nehmen, um das Richtige für mich zu finden.

Ihr Lebensmittelpunkt wird New York. Wie funktioniert da der Kontakt in die Heimat?
Kuhn:
Meine Mutter wohnt in Weinheim, wo ich aufgewachsen bin, mein Vater in Spanien. Die besuche ich zweimal im Jahr. Mein Vater kommt auch zum Super Bowl. Mit vielen deutschen Schulfreunden habe ich noch engen Kontakt.

Gab es Bekannte, die mit Beginn Ihrer Karriere in den USA plötzlich Ihre Nähe gesucht haben?
Kuhn:
Höchstens solche, die sich dann gefreut haben, sagen zu können, dass sie mich kennen. Aber dass jemand angekrochen kam und irgendwas wollte, das gab es nicht.

In Weinheim spielten Sie lange für die Longhorns, das hiesige Footballteam. Was sagen die früheren Coaches zu Ihrer Karriere?
Kuhn:
Der Vater eines meiner besten Freunde war dort mein erster Trainer und man sieht sich auch ab und zu. Zu ihm habe ich sehr guten Kontakt. Ich glaube, er wird heute sogar 60. Ich sollte ihn dann wohl noch anrufen. (lacht)

Als Sie mit Football anfingen, war das hierzulande noch eher eine Nischensportart. Heute interessieren sich immer mehr Menschen in Deutschland für „America’s Game".
Kuhn:
Darum besuche ich auch immer gerne die Footballteams bei mir in der Umgebung, wenn ich zu Hause bin, um jungen Spielern etwas weiterzugeben. Ich glaube, die freuen sich, wenn ein NFL-Profi mal beim Training auftaucht.

Gutes Stichwort: In Amerika gab es vor einiger Zeit eine riesige Debatte um die Verletzungsgefahr im Football. Es wurde nachgewiesen, dass wiederholte Gehirnerschütterungen zu gravierenden Hirnschäden führen, die sonst bei hochbetagten Alzheimer-Patienten auftreten. Seitdem gibt es Pflichtuntersuchungen während der Spiele, wenn der Verdacht auf eine Gehirnerschütterung besteht. Trotzdem: eine ganz schöne Hypothek für den Sport – und jeden, der ihn betreibt. Auch die Jüngsten.
Kuhn:
Das Verletzungsrisiko ist ganz klar vorhanden. Es gibt, glaube ich, auf der Welt keine Athleten, die in der Kombination größer, schneller, stärker sind als Footballspieler. So, wie wir uns auf dem Feld begegnen, da bleiben die Knochen, Sehnen und leider Gottes auch das Hirn nicht unversehrt. Darüber sollte man aber nicht zu sehr nachdenken. Nicht die Augen verschließen, aber es gehört eben dazu.

Wie soll das gehen?
Kuhn:
Man kann sich nur entsprechend vorbereiten. Es gibt bestimmte Techniken, zum Beispiel beim Tackeln, die helfen, Gehirnerschütterungen vorzubeugen. Aber, klar: Ganz vermeiden lassen sich diese Dinge nicht. Andererseits fragt einen Klitschko auch niemand: Hast du Angst um deine Nase oder deinen Kopf, wenn du in den Boxring steigst? Es muss letztlich jeder selbst entscheiden.

Würden Sie also Kinder oder Jugendliche zum Footballspielen ermuntern?
Kuhn:
Das ist ein Punkt, wo ich sage: Wenn, dann mit dem Körperkontakt nicht zu früh anfangen. Ich selbst hatte in meinen vier Jahren drei Operationen, die schwerste war die nach meinem Kreuzbandriss. Der Körper macht schon einiges mit, auch das ist ein Grund für die kurzen Halbwertszeiten in der NFL.

Kann man in so kurzer Zeit als Spieler genug verdienen, um abgesichert zu sein?
Kuhn:
Naja, nicht ohne Grund gibt es noch eine andere erschreckende Statistik in der NFL. Die besagt, dass ein Großteil früherer Spieler zwei, drei Jahre nach dem Karriereende pleite ist. Die meisten haben eben keine Millionenverträge. Sie sind jung, kriegen dann viel Geld. Denen dann zu sagen, du bist nur drei Jahre dabei, denk vorausschauend und sei verantwortungsvoll, ist eine schwere Nummer.

Wie haben Sie das gehalten?
Kuhn:
Ich kann für mich nur sagen: Man sollte die NFL eher als einen guten Start ins Leben sehen denn als richtige Karriere. Die wenigsten können hinterher sagen, eigentlich muss ich nicht mehr arbeiten. Trotzdem habe ich natürlich jetzt in meinem ersten Beruf mehr verdient als die meisten anderen nach der Uni. Jetzt muss ich mich aber über kurz oder lang auf ein anderes Leben vorbereiten, so wie jeder andere auch.

Was hätten Sie gemacht, wenn Sie nicht Football-Profi geworden wären?
Kuhn:
Den Plan B gab es schon, bevor ich nach Amerika gegangen bin. Nach dem Abitur habe ich ja nicht damit gerechnet, dass es für die NFL reicht. Nachdem ich später gedraftet worden war, war Plan A natürlich ein Selbstläufer. Aber vorher habe ich mich bei Banken und Versicherungen als Kaufmann beworben, hatte sogar einige Stellen sicher, die ich dann abgesagt habe. Aus mir wäre vielleicht ein Bankkaufmann geworden, wer weiß.

Ein Beinahe-Bankkaufmann, der jetzt den Super Bowl kommentiert. Ob die Moderatoren-Alphatiere Frank Buschmann und Patrick Esume so jemanden zu Wort kommen lassen?
Kuhn:
Zum Glück bin ich nicht so leicht zu unterdrücken. (lacht) Und zwar nicht nur meine Statur, auch mein Mundwerk. Das wird schon.

Wer gewinnt das Finale? Die New England Patriots oder die Atlanta Falcons?
Kuhn:
Man sagt: Mit der Defensive gewinnt man Meisterschaften. Die Patriots-Verteidigung ist einfach stärker. Von daher New England.