Kopf der Woche

Die Beginner sind zurück - das Interview

Die Hip-Hopper Jan Phillipp Eißfeldt, Dennis Lisk und Guido Weiß sprechen über die Ursprünge des Rap, 
ihre neue Platte „Advanced Chemistry“ und was sie der heutigen Jugend wünschen.

Die Hip-Hopper Jan Phillipp Eißfeldt, Dennis Lisk und Guido Weiß. | © Nils Müller

04.09.2016 | 04.09.2016, 15:00

Bielefeld. Die Band mit Geschmack. Das zumindest behaupten die Beginner in einem Song ihres neuen Albums „Advanced Chemistry". Doch wie kommen die Hip-Hopper Jan Phillipp Eißfeldt, Dennis Lisk und Guido Weiß zu dieser Selbsteinschätzung. Und was ist der Grund dafür, dass man sie kaum unter ihren bürgerlichen Namen kennt? Oliver Herold hat die Drei interviewt.

Beginnen wir das Gespräch doch mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Also, wie heißt Ihr, wie nennt Ihr Euch und warum?
Jan Philipp Eißfeldt:
Mein Name ist Bartholomäus Mayer (lacht). Irgendwann dachte ich mir, dass es vielleicht ganz geil wäre, sich als Rapper „Eisfeld" zu nennen. Dann dachte ich ein paar Jahren später: Das ist doch nicht so geil, ich nenne mich lieber „Eizi Eiz", aber dann hatte ich noch so eine Idee: Ich nenn mich „Jan Delay" – und das hab ich einfach alles mal so ausprobiert. Die Namen hängen immer mit der Musik zusammen, die ich gerade mache. Wenn ich Hip-Hop mache, bin ich auf jeden Fall Eizi Eiz.
Dennis Lisk: Ich mache mal weiter: Mein Name ist Dennis Lisk. Die erste Hip-Hop-Platte, die ich so mit elf, zwölf, dreizehn Jahren gekauft habe, war Public Enemy „It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back" von Chuck D., Flavor Flav und noch ein paar anderen Leuten. Ich dachte: Wie geil ist das denn, ich will auch so ein geiler Rapper sein! Weil mein zweiter Name nigerianisch ist und mit O beginnt, nannte ich mich Den O. Das fand ich anfangs auch ganz geil. Dann kam die Pubertät, ich hatte oft schlechte Laune und fing an, einen auf dicke Hose zu machen, obwohl ich immer der Kleinste war. Da haben die Leute angefangen, mich Denyo zu nennen, vom „Yo!" aus dem Hip-Hop. Daher kommt mein Name. Ich habe mich auch mal Dennis Deutschland genannt oder unter meinem bürgerlichen Namen Dennis Lisk eine Singer-Songwriter-Platte gemacht. Aber eigentlich ist mein Name Denyo.
Guido Weiß: Und ich bin der Diskjockey, Guido Weiß, DJ Mad. Ich hieß aber schon „Mad", bevor ich DJ war, weil ich in der charakterbildenden Phase meiner Pubertät MAD-Hefte gesammelt habe – das „vernünftigste Magazin der Welt", das nachhaltig meinen Verstand versaut hat. Und man brauchte für die Highscore-Listen der Spiele auf dem C 64 einen Namen mit drei Buchstaben. Da kam Mad genau hin.

Information

Info

Niemand hat den deutschen Hip-Hop wohl so geprägt wie DJ Mad, Denyo und Eizi Eiz. 1991 gegründet, begannen die Jugendfreunde als die Absoluten Beginner auf deutsch zu rappen. Der Durchbruch gelang 1998 mit dem Album Bambule. Inspiriert wurden sie von Advanced Chemistry, den Pionieren des deutschen Hip-Hop. Das neue Album der Beginner, wie sie sich seit 2003 nennen, ist diesen Pionieren gewidmet. Zugleich gehen sie zurück zu ihren Wurzeln – um sich mal neu zu erfinden.
Beginner. - © Nils Müller
Beginner. | © Nils Müller



Zusammen seid Ihr die „Beginner" – die „Band mit Geschmack", wie es auf Eurem neuen Album heißt. Außerdem zählt Ihr heute zu den Pionieren des Deutsch-Rap.
Jan:
Nee, wir zollen mit dieser Platte den Pionieren des Deutsch-Rap Tribut, die heißen nämlich „Advanced Chemistry". Das ist uns sehr wichtig: Wir sind die zweite Generation. Advanced Chemistry hat uns davon überzeugt, dass man auch auf Deutsch richtig geil und derbe rappen kann, dass man mit der Sprache spielen kann.
Dennis: Als wir damals anfingen, haben wir zunächst englische Texte adaptiert, von N.W.A., dem ersten Gangster-Rap. Das haben wir dann in unserem schlechten Schulenglisch einfach nachgesungen und einen auf Ghetto gemacht. Jan hatte keinen Bock, da mitzumachen. Er war damals der DJ, er hatte den Sampler und die große Plattensammlung. Da war Guido noch gar nicht in der Band. Dann bekamen wir ein 
Tape von Advanced Chemistry in die Hände, mit den ersten Gehversuchen im Deutsch-Rap, die gelungen waren. Punch-lines wie „Die Pudelmütze ist meine Krone" haben richtig Eindruck bei uns hinterlassen. Viele streiten sich darüber, wer die ersten waren, die auf Deutsch gerappt haben. Reinen Sprechgesang gab es ja schon vorher, aber mit der echten Haltung, den wirklichen Werten und dem Flow, der vermittelt, was Hip-Hop ist, waren Advanced Chemistry die ersten in Deutschland. Ohne die hätte Jan nicht angefangen, überhaupt zu rappen und wir wären vielleicht immer noch irgendwelche gescheiterten kleinen Scheißer, die auf Englisch rappen und versuchen, einen auf Gangster zu machen.

Für welche Werte stehen denn die Beginner – und wofür stehen sie nicht?
Jan:
Auf jeden Fall Offenheit, Kreativität, Qualität, Humor und Liebe. Das ist das, was wir uns erhalten haben.
Dennis: Die Beginner wurden auf alle Fälle gut erzogen – von Bands wie Advanced Chemistry. Wir haben die Werte wirklich eingetrichtert bekommen. Früher war Hip-Hop nicht nur Musik, sondern auch Breakdance, Graffity und Djaying – und für Kinder und Jugendliche, die sich in irgendeiner Form nicht gehört fühlten, eine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen und sich auszudrücken. Außerdem ist Respekt sehr wichtig: Respekt vor anderen, vor der Kunst und vor dem Stil anderer Leuten. Früher ging es beim Musikmachen überhaupt nicht darum, dass man in den Charts ist, eher im Gegenteil: Dafür musste man sich rechtfertigen, wie die Fantastischen Vier. Es ging vielmehr um den Community-Gedanken, dass es ein Geben und Nehmen ist und alle zusammen gehören. Jeder hat irgendwas gemacht, keiner war bloß Zuschauer.
Guido: Genau, es gab ein unbedingtes Muss zum Individualismus. Es war extrem wichtig, eigen zu sein. Wenn einer zum Beispiel ein geiles Graffiti gesprüht hatte, das aber woanders geklaut war, dann war der bei allen anderen unten durch. Mit der Musik war das so ähnlich. Der Anspruch war: Du musst die Kultur weiterentwickeln, einen neuen Aspekt reinbringen – das ist ein ganz wichtiger Punkt, der in der DNA der Beginner steckt. Es reicht halt nicht, den Standard möglichst perfekt zu reproduzieren, sondern es geht darum, den Standard zu definieren.

Video auf YouTube

Wie ist denn der Umgang untereinander in der Hip-Hop-Szene?
Jan:
Das Tolle an Hip-Hop ist dieser positive Konkurrenzkampf. Dass man wie ein Katalysator aufeinander wirkt: Wenn der eine was Krasses abgeliefert hat, will man auch was Krasses abliefern. So treiben sich alle in ihrer eigenen Individualität immer wieder zur Bestform – und das ist ein toller Zustand. Das war nicht immer so, es gab auch Zeiten vor zehn, zwölf Jahren, da war alles zerschossen, da gab es viel zu viele Fronten und zu wenig Liebe. Berlin hat alles gehasst, was aus Hamburg kam, das war einfach komisch und in dieser Zeit ist auch nicht viel entstanden. Daran sieht man, dass man diese Liebe braucht und die Flut an guten Sachen, die inspirieren, damit noch mehr davon kommen kann.
Dennis: Von dieser Phase erzählen wir auch in unserem Song „Es war einmal". Da hat sich das Hip-Hop-Fieber auf einmal krank angefühlt und die Welle lief irgendwie aus. Da kam nicht mehr viel Neues. Damals musste sich Hip-Hop erst mal runderneuern. Darin ist Hip-Hop ja wirklich gut, aber dann kam erst mal der Gangster-Rap, bei dem das Neue nicht so sehr mit Können zu tun hatte, sondern mit der Story: Ich kann anderen aufs Maul hauen, ich war früher im Knast oder ich ticke Drogen. Das alleine reichte natürlich nicht und deshalb wurde es zunächst ein bisschen trist und negativ. Inzwischen gab es eine krasse Weiterentwicklung, auch im Gangster-Rap. Denn rappen kann heutzutage eigentlich jeder, also irgendwie so, dass es ganz nett klingt. Deshalb geht es heute umso mehr um die Frage: Wo ist deine individuelle Klasse? Danach sucht jeder. Wer die findet und auch noch gut rappen kann, wird erfolgreich sein.

Ist das eigentlich noch echter Rap, was Ihr macht? Musikalisch zitiert das Album ja einige Genres.
Jan:
(wirkt pikiert) Also die Frage hat bisher noch keiner gestellt. Unbedingt! Mehr Rap als auf dieser Platte haben wir nie gemacht!
Guido: Ich empfinde die Frage eigentlich als Kompliment. Denn was Rap ist, entsteht ja immer durch Definitionen, und wenn man den 80er-Jahre-Oldschool-Hip-Hop à la Africa Bambaataa nimmt, hat das soundmäßig nichts mit dem zu tun, was Hip-Hop in den 90ern war. Damals hat auch irgendwann einer gesagt: Nee, das machen wir jetzt anders, das klingt jetzt soundso und das ist jetzt auch Hip Hop.
Dennis: Durch die technische Weiterentwicklung der Laptop-Generation hat man beim Produzieren heute außerdem viel mehr Möglichkeiten als früher, über das Internet kann man sich an allen Stilen bedienen und mit den Sachen rumexperimentieren. Aber nicht nur die Spielwiese ist größer, sondern auch die Zuhörer sind breiter gefächert – die erwarten praktisch, dass man musikalisch links und rechts guckt, dass es knallt und scheppert, dass es hier mal ein bisschen alt klingt und da ein bisschen neuer.
Jan: Solo macht jeder von uns sein eigenes Ding, von Funk über Reggae bis zur Singer-Songwriter-Platte. Wir hatten schon immer sehr weit gefächerte Geschmäcker, das hat die Beginner von Anfang an ausgemacht – und in unserem Hip-Hop hört sich das dann so an wie auf unseren Platten.



Ihr kennt Euch seid Eurer Jugend – würdet Ihr Euren Kindern die gleiche Jugend wünschen, die Ihr hattet?
Jan:
Ja, unbedingt. Das denke ich oft, vor allem, weil wir tolle Eltern hatten und eine tolle Jugend. Man muss sich mal vorstellen, was heute alles auf dich einprasselt. Von überall dieser Input, so dass deine Aufmerksamkeitsspanne natürlich viel geringer sein muss, weil du viel mehr mitkriegen musst. Und du kannst dich nicht mehr so leicht einfach ausklinken und nur noch auf eine Sache konzentrieren, die dich wirklich leidenschaftlich bewegt, wo du dann auch dran bist und was dich kreativ fördert, als Menschen fördert – das ist heutzutage viel schwieriger. Natürlich hat das alles auch seine Vorteile, aber trotzdem würde ich dem Kind die Jugend wünschen, die wir hatten.
Guido: Spätestens seit dem Smartphone in der Tasche gibt es ja ein Konzept für jede Sekunde deines Lebens, dass du da irgendwie beschäftigt bist und irgendwas machen kannst. Wenn ich Kinder hätte, würde ich ihnen die Langeweile wünschen, die ich ab und an hatte. Ich empfinde Langeweile als ein Privileg und als etwas extrem Positives, denn in dieser Ruhe der Langeweile habe ich diese spackigen Ideen entwickelt, wie an Samplern rumzufrickeln – heute habe ich nicht mal mehr die Ruhe, mir zwei Minuten lang ein Youtube-Tutorial anzugucken. Dabei geht auch viel Altes verloren, denn ich glaube nicht, dass man heute mit dreizehn, vierzehn überhaupt noch die Zeit und Ruhe hat für Musik von früher, neben all dem Aktuellen, das jetzt für dich erstellt wird und was du jetzt konsumieren sollst. Dieses „Früher" war und ist aber für uns alle als Musiker und Band absolut präsent und extrem wichtig.
Jan: Genau. Heute stehst du vor einem riesigen Büffet und bist schon satt vom Hingucken. Obwohl du Hunger hast, weißt du nicht, wo du zugreifen sollst. Früher stand da halt nur ein Teller mit Suppe und du hast das Ding gegessen.
Dennis: Das ist aber auch ein Klischee. Mein Sohn wird 14 und der hat ein Smartphone, aber kaum eine App drauf. Der geht ganz normal zur Schule und hat seine Freunde. Und der langweilt sich auch.
Jan: Mir ging es auch eher um die Kreativität und um die Ruhe, die heute fehlen. Ich habe kürzlich so eine Knast-Doku gesehen, da haben sie Sachen gezeigt, die die Leute sich da selber bauen. Unfassbare Dinger! Angefangen bei einer Tätowiermaschine aus einem Kugelschreiber, mit einer elektrischen Zahnbürste als Motor. Von Typen, die keinerlei handwerkliche Ausbildung hatten. Es ist unglaublich, was die Leute aus der Not und mit viel Zeit erfinden. Wenn man alles hat, wie die Kids heute, wenn man dieses Überangebot hat, dann fehlt häufig die Ruhe, sich an einer Sache hoch zu ziehen und sie bis zum Erbrechen zu meistern.
Guido: Was ich meinen Kindern wünschen würde, ist dieses Denken können ohne den ständigen technischen Support. Wenn man heute ein Problem hat, ist der erste Reflex, das Handy aus der Tasche zu ziehen, um es zu googeln.
Jan: Ich zitiere in solchen Diskussionen gerne den Satz: „Wenn es mit der Demoralisierung unserer Jugend so weitergeht, dann wird es in 200 Jahren keine Zivilisation mehr geben". Das hat ein griechischer Philosoph 300 vor Christus gesagt. Aber der Satz hätte auch vor zwei Jahren gesagt werden können. Es gibt immer, egal in welche Generation man schaut, Konflikte mit dem Neuen.

Wie würdet Ihr eigentlich „cool" definieren? (Die Beginner lachen)
Dennis:
Das Wichtigste ist: Man darf es nicht versuchen! Sonst wird das nichts.
Jan: Das ist wie beim Genie und eine sehr subjektive Sache. So wie Geschmack. Bestimmte Leute haben eine andere Auffassung vom Coolsein als andere und das ist gut so. Denn du kannst das nicht in einem Maß messen wie Meter oder Kilo.
Guido: Also ich bin 3 cool.
Jan: Ich 4.
Dennis: Nee. Ich bin raus.