Der Poet begann als Spötter

Paul Klees grafisches Werk nahezu komplett in Münster

30.11.2010 | 19.05.2022, 16:11
Von Paul Klee gestaltete Postkarte zur Bauhaus-Ausstellung 1923. - © FOTO: MUSEUM
Von Paul Klee gestaltete Postkarte zur Bauhaus-Ausstellung 1923. | © FOTO: MUSEUM

Münster. Die Radierung von 1903 konfrontiert zwei entblößte Kriecher in demütiger Bückling-Pose. "Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen sich", nennt Paul Klee ein wenig umständlich eine seiner ersten Grafiken.

Sie entstammt den "Inventionen", einem noch vom Symbolismus geprägten Zyklus von elf Radierungen. In seiner ersten Ausstellung erwies sich der gebürtige Schweizer gleich nach seinem Umzug nach München 1906 in der Münchner Sezession keineswegs als Träumer, sondern als politisch hellsichtiger Kritiker des wilhelminischen Zeitgeistes. Mit ätzendem Spott geißelte er obrigkeitsstaatlichen Untertanen-Kotau und kriegerischen Heldenkult. Und in Selbstporträts setzte er die Maske des Komikers auf.

Das Picasso-Museum Münster eröffnet mit dieser kaum vertrauten Seite eine Werkschau, mit der es das grafische Werk Paul Klees nach 35 Jahren erstmals wieder nahezu komplett bis zu den letzten Blättern von 1932 vorstellt. Die meisten der 137 Lithografien, Radierungen und Holzschnitte stammen aus den Zentrum Paul Klee in Bern, das in der Geburtsstadt des Künstlers seinen Nachlass verwaltet. 30 Vorzeichnungen, Zustandsdrucke und handkolorierte Lithografien, die als Unikate gelten, hat der Berner Kunsthändler und Auktionator Eberhard W. Kornfeld beigesteuert.

Ironie zieht sich durch das gesamte Werk

Klee und Picasso gelten als Antipoden. Hier der vergeistigte, träumerische Poet, dort der lebenshungrige Erotomane – ein Klischee, wie Museumsdirektor Markus Müller zu Recht feststellt. Die Ausstellung in Münster korrigiert es behutsam. Picasso und Klee sind sich zwei Mal begegnet, 1933 flüchtig in Paris und 1937 in Bern.
Information
Nachlass wird in Bern betreut

Das von einem Mäzen finanzierte, 2005 eröffnete Zentrum Paul Klee verwaltet den Nachlass des Künstlers in seiner Geburtsstadt Bern. Er umfasst 4000 der 9500 Werke, die Paul Klee hinterließ. Damit gilt er als weltweit größte Sammlung eines Künstlers von Weltrang. Dazu zählen 180 Gemälde, 900 Arbeiten auf Papier, 160 Grafiken und 2500 Zeichnungen. Die Stiftung Paul Klee wurde bereits 1951 gegründet, um den Nachlass zu sichern.

In seinen letzten Lebensjahren vor seinem Tod 1940 hat Paul Klee selbst ein Verzeichnis seiner verstreuten Grafiken angelegt und die Blätter, die nun in Münster zu sehen sind, eigenhändig zusammengetragen. (al)

Klee begann als Zeichner. Wie sich Zeichnung und die im Strich schon in den frühen Landschaften rund um München extrem reduzierte Grafik wechselseitig beeinflussten, zeigt eine Fülle von Beispielen. In der Grafik konnte Klee seine Sensibilität ausleben. Feine Ironie und ironische Distanz ziehen sich durch das gesamte Schaffen.

Erst nach der Begegnung mit dem Kubismus, die sich in auffallend kleinteiligen Grafiken niederschlägt, findet Klee mit 32 zur Malerei. Die Tunis-Reise 1914 wird für ihn zum Erweckungserlebnis. Seine wichtigsten Grafiken entstehen während seiner Tätigkeit als Bauhaus-Lehrer zwischen 1920 und 1931. Zeitweilig übertrumpft die Grafik in ihrem künstlerischen Rang gar die Malerei. Deren prägnante Symbolik ist in den Blättern, die in Münster zu sehen sind, zurückgenommen. Aber die düsteren Runen und Hieroglyphen der späten Malerei tauchen auch in den letzten Grafiken auf. Sie entstanden, bevor die Nazis 1933 Klee als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie aus dem Amt jagten.

Der frühe Kritiker deutschen Ungeistes sollte abermals Recht behalten. Das kindlich Naive mancher Zeichnungen, für die Klee auf eigene Kritzeleien aus der Kindheit zurückgriff, findet sich in der Grafik nur selten. Es war schließlich keine primitive Pose, sondern der Versuch, sich einen unverstellten Blick zu bewahren. Und dafür gibt es in der Grafik andere Mittel. Das verdeutlicht eine Fülle von Beispielen, in denen Klee dasselbe Motiv als Zeichnung, als Lithografie in Schwarzweiß und als Farblithografie variiert.

Die Ausstellung "Paul Klee – Grafik" im Kunstmuseum Pablo Picasso Münster, Picassoplatz 1, ist ab Sonntag bis zum 13. März 2011 dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. www.kunstmuseum-picasso-muenster.de