Wie die Beatles sich selbst gehört haben

INTERVIEW: Die Toningenieure Steve Rooke und Allan Rouse überarbeiteten das Gesamtwerk der Legende aus Liverpool

Das Cover des Abbey-Road-Albums – das hier ein Touristenführer an historischer Stätte hochhält – zeigt die Beatles auf dem Weg zu ihrem Aufnahmestudio. Eben hier wurde ihr musikalisches Schaffen nun digital überarbeitet. | © FOTO: DPA

09.09.2009 | 20.06.2022, 09:18

Innerhalb von acht Jahren haben die Beatles auf dreizehn Alben Musikgeschichte geschrieben. Ziemlich exakt 40 Jahre nach der letzten Studioeinspielung der Band werden Mythos und Legende in Form von Remasters - neuer Vorlagen für die Wiederveröffentlichung auf modernen Tonträgern wie Audio-CD oder DVD - aller Original-Studioalben revitalisiert.

Natürlich nicht irgendwo, sondern dort, wo die 220 Originalbänder und Mastertapes aus den sechziger Jahren gehütet werden wie die englischen Kronjuwelen - in den Londoner Abbey-Road-Studios. Vier Jahre lang haben sieben Tontechniker auf den 9. September 2009 hingearbeitet - den weltweiten Beatles-Tag, ab dem die Fab Four mit zwei neuen CD-Boxen-Sets und CD-Neuauflagen aller regulären Studioalben in gebührender Opulenz neu wahrnehmbar werden.

Michael Loesl sprach mit den beiden Projektchefs, Steve Rooke und Allan Rouse, in den Abbey-Road-Studios über ihre Feinarbeit und die Bemühungen, den Legenden gerecht zu werden.

Mr. Rooke und Mr. Rouse, stehen Sie bereits unter Personenschutz?

ALLAN ROUSE: Wir haben nichts verbrochen, sondern bekamen von der Verwaltungsfirma der größten Popband aller Zeiten den Auftrag, deren Katalog für die Neuzeit bestmöglich klingen zu lassen.

Das ewige Neuverwerten des Beatles-Katalogs ist für viele ein Verbrechen.
ROUSE: Beschwerden richtet man bitte an Apple Corps Ltd., die Firma der Beatles, nicht an uns. Aber ich kann potenzielle Nörgler beruhigen, denn wir haben keinen einzigen Song der Beatles einem klangverändernden Remix-Verfahren unterzogen, sondern lassen die Beatles so klingen, wie man sie universell wahrgenommen hat, nur besser denn je.

Was macht die Beatles-Remasters so spektakulär?
STEVE ROOKE: Wir haben mit den Remasters die Möglichkeit geschaffen, die Alben der Beatles mittels möglichst aller moderner Wiedergabeoptionen so hören zu können, wie sich die vier seinerzeit selbst gehört haben.

Wie viel Aufwand war notwendig, um vier Jahrzehnte alte Mastertapes zu renovieren?
ROUSE: Eine Menge! Ob es das Auffinden der bestklingenden Bandmaschinen, der bestmöglichen Analog-Digital-Wandler, das zigfache Testen der bisherigen Masters auf Fehler oder das Feintuning der einzelnen Alben mit Equalizern war - alles war unglaublich zeit- und energieaufwendig. Die Beatles brauchten acht Jahre zum Aufnehmen ihres gesamten Katalogs, wir brauchten vier, um ihn restaurieren zu können.

Warum haben Sie ihn nicht gleich mit Remixing (Klangverbesserung) aufgemotzt?
ROUSE: Remixing ist immer nur als Alternative zu den Original-Mastertapes zu betrachten, nie als ihr Ersatz, denn mit Remixing kann man zwar bestimmte Instrumente oder Stimmen wesentlich deutlicher in den Vordergrund drängen, aber damit wird gleichzeitig auch die Wahrnehmung eines Musiktitels verändert. Und über welche Musik reden wir hier, bitte schön? Niemand hat so viele Platten verkauft wie die Beatles, und das Klangspektrum der Original-Mono- und Stereobänder hat sich in unser kollektives Menschheitsgedächtnis eingebrannt. Insofern wollten und mussten wir uns beim Remastering so exakt wie möglich an den Originalen orientieren, die überall auf der Welt Konsens sind.

Wird die Wahrnehmung einer Tonaufnahme beim Remastering nicht auch verändert?
ROUSE: Es herrschte in unserem Team allerdings Einigkeit darüber, dass wir keineswegs in die tatsächlichen Performances der Beatles eingreifen wollten. Ob es Ringos quietschendes Kickdrum-Pedal oder der knarrende Stuhl am Ende von "A Day In The Life" war, dessen Geräusch jeder kennt und erwartet - all das sollte auf jeden Fall weiterhin hörbar bleiben. Alle technischen Missgeschicke in den ursprünglichen Masters haben wir allerdings eliminiert.

Waren Ringo und Paul eigentlich mal hier während des Remastering-Prozesses?
ROUSE: Für den Original-Monomix des "Sgt. Pepper"-Albums brauchte George Martin ein paar Wochen, während er für den Stereomix des Albums zwei Tage brauchte. Wir haben zwei Tage benötigt, um einen einzigen Song des Albums zu mastern. Paul und Ringo sind zwar auch nicht mehr die Jüngsten, aber die beiden hätten verständlicherweise nicht ihre kostbare Zeit damit vertrödelt, uns bei der haargenauen Arbeit zu beobachten, die wir für ihre Musik leisteten.

Basiert das zeitgleich mit den neuen Remasters erscheinende Computerspiel "Beatles Rockband" auf denselben Tonspuren wie die CDs?
ROUSE: Nein, für das Computerspiel wurden sämtliche enthaltenen Beatles-Songs einem Remixing-Verfahren unterzogen, um die einzelnen Instrumentenspuren von den Spielern so flexibel wie möglich gestalten zu lassen. Zwar muss man sich keine Sorgen darüber machen, dass neue Generationen die Musik der Beatles möglicherweise ignorieren könnten, aber das Computerspiel wird jungen Leuten noch mal einen ganz anderen Blick auf die Beatles gewähren.

Können Sie die Songs der Beatles eigentlich noch genießen?
ROUSE: Ich arbeite seit 20 Jahren fast ausschließlich an der Pflege und Aufwertung der Beatles-Bänder, womit ich mehr Zeit mit ihrer Musik verbrachte als die Beatles selbst. Deren Songs sind, subjektiv und objektiv betrachtet, immer noch genial. Aber ich glaube, dass keiner unserer Teams am Abend, auf dem Heimweg, eine Beatles-CD in die Autoanlage legt.