Frau Kablitz-Post, zuletzt haben Sie Scooter filmisch begleitet. Wie sehr unterscheidet sich das Baxxter-Universum vom Mille-Universum.
CORDULA KABLITZ-POST: Das unterscheidet sich massiv! (lacht) Bei Scooter gibt es sehr viel Produktion, die auf der Bühne eingespielt wird. Die Hauptarbeit findet im Studio statt. Das ist etwas ganz anderes, das kann man nicht vergleichen. Der große Respekt geht hier an die Metal-Szene und an Kreator, weil die einfach perfekt in ihren Instrumenten sind. Das ist ein Riesenunterschied. H.P. spielt auch mal eine Gitarre auf der Bühne, aber da muss ich Mille sagen, wie gut er ist. Ich möchte H.P. und seine Leistung aber keinesfalls klein reden. Er ist wirklich toll, sonst hätte ich mich nicht mit ihm beschäftigt. Das ist eine wirklich große Leistung, nur eben völlig anders.
Herr Petrozza, wie schwer war es für Sie, jemandem Zutritt in Ihre Komfortzone zu gewähren?
MILLE PETROZZA: Das war schon schwierig. Cordula war aber sehr sensibel. Ich war manchmal ein bisschen ruppig und das hat sie sehr gut verarbeitet. Irgendwann hatten wir eine gute Kommunikation. Ich wollte, dass sie den Film macht. Wir haben auch zu 90 Prozent Spaß gehabt. Die restlichen zehn Prozent sind halt Reibung. Das hat nichts mit uns als Personen zu tun, sondern damit, dass manche Situationen sehr stressig waren. Zum Beispiel diese Sache in Gelsenkirchen, als das Konzert abgebrochen wurde. Oder wenn wir so müde waren, aber gleich gedreht werden sollte. Ich war da ein bisschen vorsichtig. Es wurde schon einmal ein Dokumentarfilm über uns gemacht, der hieß „Thrash Altenessen“. Da war ich bei manchen Sachen nicht so zufrieden. Das habe ich Cordula gesagt und sie hat es auch verstanden. Es gibt eine Szene, in der ich sehr schlecht gelaunt bin. Und das sieht man auch. Aber am Ende des Tages lacht man darüber, weil es einfach lustig ist.
KABLITZ-POST: Da gibt es immer ein Reinfinden. Man muss Vertrauen aufbauen. Du kannst vorher noch so viele Absichtserklärungen abgeben und beteuern, dass es so und so wird. Aber das siehst du erst, wenn du drehst. Eine Kamera verändert immer die Situation. Du kannst dich noch so bemühen, dich unsichtbar zu machen. Aber wenn es kleine Backstage-Räume sind, fällt es immer auf, wenn dort Kameras sind.
Für viele Fans hat die Metallica-Doku „Some Kind of Monster“ die Band ein Stück weit entzaubert, da sie auch internen Streit und persönliche Probleme der Musiker thematisierte. War es Ihnen wichtig, das zu vermeiden?
PETROZZA: Als Metallica-Fan der allerersten Stunde wollte ich das nicht sehen. (lacht) Wir wollten aber auch nicht, dass gar nichts Privates vorkommt. Ich selbst weiß ja nicht, wie ich bin. Es war ganz gut, dass Cordula von außen darauf geblickt und die Charaktere so liebevoll wie möglich dargestellt hat. Auch mit ihren ganzen Macken. Das hat sie wirklich gut gemacht.
Was steht hinter dem Titel „Hate & Hope“?
PETROZZA: Wir haben uns lange Gedanken gemacht, wie wir den Film nennen wollen. Es gab noch einen anderen Kandidaten für den Filmtitel. Cordula hat ein paar Vorschläge gemacht und den hier fand ich ganz treffend.KABLITZ-POST: Wir haben uns gesagt, den Titel auf Deutsch zu übersetzen wäre schwierig. „Hass und Hoffnung“ klingt schon wieder blöd. „Hate and Hope“ ist kompakter, auch weil es einsilbig ist. Gleichzeitig hat es nicht diese Konnotation. Hass ist immer etwas Böses. Im Kreator-Kosmos und in den Texten hat das aber eine Historie: Das Lied „Flag of Hate“ zum Beispiel und auch das letzte Album „Hate über alles“. Das ist ein stehender Begriff, den man aber trotzdem erstmal erklären muss. Ich habe das Journalisten so erklärt, dass das gesellschaftliche Kritik ist. Und auch eine jugendliche Attitüde, die damals entstanden ist, um sich damit gegen Missstände zu wehren. Man wollte zum Ausdruck bringen, dass man nicht Teil des Mainstreams, sondern außerhalb ist. Das spielt alles rein. Andererseits ist es auch schön, ein Thema aufzugreifen, das bei Kreator immer wieder vorkommt. Hope ist in dem Sinne natürlich auch nicht negativ, weil die Texte in der Musik auch eine gewisse Hoffnung beinhalten, dass sich die Welt noch zum Guten ändern könnte.
PETROZZA: Ja, die Hoffnung habe ich immer und ich hoffe, dass alle sie irgendwo teilen. Das bringt es auf den Punkt. Im Kontext ist das ein schmissiger Titel.
Frau Kablitz-Post, sind Sie auch mit Vorurteilen gegenüber der Metal-Szene konfrontiert worden?
KABLITZ-POST: Nein, gar nicht. Ich musste natürlich lange einen Sender suchen, das war gar nicht so einfach. Musik findet im Fernsehen kaum noch statt. Der WDR war der einzige Sender, der wirklich angebissen hat. Das war aber auch naheliegend, weil das Sendegebiet Essen ist. Trotzdem war das ein langer Weg. Da hieß es schon, dass Metal vielleicht ein bisschen zu hart sei. Glücklicherweise hatte ich schon ein paar Referenzen, weil ich bereits ein paar Musikfilme gemacht habe. Man hat mir also zugetraut, dass ich das durchaus differenziert darstellen kann. Auch was die Protagonisten dieses Films angeht. Vorurteile spielten da keine Rolle. Das war eher eine Musikgeschmacksnummer. Metal – und erst recht Thrash Metal – gilt als super aggro, super hart. Mir ging es aber auch um die Geschichte. Was haben die da auf die Beine gestellt? Als Schülerband in den 80ern anzufangen, dann immer erfolgreicher und internationaler zu werden und das ganze fast 40 Jahre und mehr durchzuziehen, ist einfach eine tolle Geschichte.
Der Film zeigt Mille als Veganer, Yoga-Freund, Abstinenzler und Radfahrer mit Helm. Gibt es wenigstens Groupies?
PETROZZA: Das bleibt im Nebel des Mysteriösen. (lacht) Wir wollten ein authentisches Bild abgeben und nichts inszenieren. Wir sind auf keinen Klischees herumgeritten. Es war mir wichtig, dass ich nicht definiert werde. Es sollten einfach ein paar persönliche Sachen gezeigt werden. Jeder, der sich mit Kreator auseinandersetzt, weiß, dass ich mich eben für die Dinge interessiere, die mich interessieren. Das ist meines Erachtens gut gelungen.KABLITZ-POST: Jede Situation, die im Film vorkommt, ist deswegen da, weil sie so stattgefunden hat oder auch ohne Kamera stattgefunden haben könnte. Mille hat nichts für die Kamera gemacht, das war mir sehr wichtig. Die Szenen in der Gedenkstätte KZ Buchenwald waren zum Beispiel ein Thema, bei dem ich ihn mehrmals gefragt habe, ob er da wirklich hingehen würde oder ob das jetzt nur für die Kamera wäre. Er meinte, dass Maik Weichert (Heaven Shall Burn) ihn schon so oft eingeladen habe und er schon immer dahin wollte. Maik lebt in Weimar. Er ist mit dem Blick auf diesen Glockenturm des KZs aufgewachsen. Und er ist wiederum von Kreator so stark beeinflusst worden, dass es ihm ein riesiges Anliegen war, Mille einfach mal dahin zu bringen.
Mille, bei einer Fahrt mit einem Tuk-Tuk sagen Sie: „Wenn ich sterbe, dann sterbe ich halt.“ Ist das wirklich Ihre Einstellung?
PETROZZA: Was denn sonst? Du kannst eh nichts daran ändern. Wenn du stirbst, dann stirbst du. Es kann immer sein, dass ich gleich von der Straßenbahn überfahren werde oder einfach tot umkippe. Das wäre nicht das erste Mal, dass das jemandem in der Menschheitsgeschichte passiert. Von daher darf man sich selbst nicht zu ernst nehmen – und auch nicht das eigene Leben und die eigene Existenz. Wir werden geboren und wir werden irgendwann sterben. Das ist ganz normal.
Hintergrund
Die Thrash-Metal-Band Kreator formierte sich 1982 in Essen als Schülerband, damals noch unter dem Namen Tyrant. Die Gründungsmitglieder Miland „Mille“ Petrozza (Gitarre/Gesang) und Jürgen „Ventor“ Reil (Schlagzeug/Gesang) sind bis heute aktiv. Nach einem kurzen Intermezzo unter dem Titel „Tormentor“ firmieren die Jungs aus dem Ruhrpott seit ihrem Plattendebüt „Endless Pain“ (1985) als Kreator. Mit einem extrem harten Sound und Texten, die häufig Gewalt thematisieren, jedoch niemals verherrlichen, erspielte sich das Trio (heute steht man zu viert auf der Bühne) rasch eine große, internationale Fangemeinde. Der unverkennbare Kreator-Sound gilt als stilprägend und beeinflusste zahlreiche Größen des Genres. Kreator füllen nach wie vor große Hallen in Nord- und Südamerika, Europa, Asien und Australien. Von jeher schwenkt die Band ihre Fahne aktiv gegen Rechtsextremismus, etwa beim renommierten „Festival für Demokratie und Toleranz“ in Jamel.
Den Kinotipp zum Kreator-Film lesen Sie hier.