Berlin. Mit dem neuen Jahrtausend hat eine neue Sensibilität im Kino Einzug gehalten. Viele Heldinnen haben die althergebrachten Supermänner abgelöst und in gesteigertem Maße wurden Biografien von rührigen Frauen des realen Lebens als Filmstoff entdeckt.
Produktionen wie „Frida“, „Paula“ oder „Maudie“ setzten großartigen Malerinnen ein würdiges Denkmal, die bis dahin im Schatten ihrer maskulinen Kollegen standen. Nun erzählt ein weiteres Werk, das als deutsch-britisch-mexikanisch-rumänische Koproduktion verwirklicht wurde, aus der ersten Lebenshälfte der Surrealistin Leonora Carrington.
Diesen Namen nicht zu kennen, ist nicht zwingend eine Bildungslücke, sah man in der Engländerin und Wahlmexikanerin doch lange Zeit nur eine Lebensabschnittsbegleiterin von Max Ernst. Heute erzielen Carringtons Arbeiten auf Auktionen zweistellige Millionensummen.
Die ambitionierte Filmbiografie „Leonora im Morgenlicht“ basiert auf dem Roman „Frau des Windes“ von Elena Poniatowska, einer engen Freundin der Künstlerin. Wie das Buch hat auch die Adaption große Stärken, aber auch gewisse Schwächen.
Der steinreiche britische Mäzen Edward James (Ryan Gage) begrüßt Leonora (Olivia Vinall) 1951 in der mexikanischen Kleinstadt Xilitla. Hier will der Freund und Unterstützer des Surrealismus mit „Las Pozas“ einen fantastischen Garten Eden aus dem Boden stampfen. Leonora, die unter psychischen Problemen leidet, soll bei ihm zur Ruhe kommen. Mit ängstlich-melancholischem Blick nimmt sie die Dschungelwelt und ihre Kreaturen in Augenschein und lauscht den Gesängen der Einheimischen. Sie ist des Spanischen mächtig und versteht die morbiden Texte, die sich um den Tod drehen.
Paris, 13 Jahre früher. Durch ihren (verheirateten) Liebhaber Max Ernst (Alexander Scheer) erhält Leonora Zugang zur örtlichen Bohème. Hier kommunizieren die Intellektuellen in 1A-Künstlersprech. Der Schriftsteller André Breton (Denis Eyriey) salbadert über Frauen, Musen und die Liebe. Auch Dali hört zu. Später werden Ernst und Carrington ein idyllisches Landhaus in Südfrankreich beziehen.
Aber das Glück währt nicht lange. Max wird nach dem deutschen Überfall auf Frankreich interniert. Leonora, psychisch angeschlagen und verwahrlost, flieht mit ihrer Freundin, der Künstlerin Remedios Varo (Cassandra Ciangherotti), nach Spanien. Dort wird sie in eine Nervenheilanstalt eingewiesen und mit Elektroschocks gequält. Sie denkt zurück an ihre Kindheit, in der sie mit Tieren sprach und den einzigen Wunsch hegte, selbst ein Pferd zu sein.
Zurück zum Anfang. Im Jahre 1942 emigriert Leonora nach Mexiko und lernt den ungarischen Fotografen Emérico Weisz alias „Chiki“ (István Téglás) kennen und lieben. Sie wird Mutter. Und sie verbindet den europäischen Surrealismus mit mesoamerikanischen Mythen und entdeckt ihre weibliche Spiritualität.
Wie gern hätte man als Zuschauer diese faszinierende Frau näher kennengelernt. Nun, man tut es nicht. Die britische Hauptdarstellerin Olivia Vinall („Die Frau in Weiß“) ist eine Frau des Theaters. Sie hätte alles sein können, was sich ein Filmemacher erträumt. Leider reduziert die Inszenierung sie auf eine schmollmündige, betrübte Figur ohne große Facetten.
Man spürt, dass diese Schauspielerin förmlich explodiert wäre, hätte man sie von der Leine gelassen. Ob mehrere Nacktszenen Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung oder voyeuristisch sind, mag jeder für sich entscheiden. Immerhin darf auch Alexander Scheer als exzellent besetzter Max Ernst barfuß bis zum Hals seinen Pinsel schwingen. Von Carringtons Oeuvre erhascht man leider nur flüchtige Impressionen.