Stoppok, auf Ihrem aktuellen Album „Teufelsküche“ singen Sie: „Du lebst, wenn du deine Grenzen siehst und daraus die richtigen Schlüsse ziehst.“ Was bedeutest das bezogen auf Ihre Person?
STEFAN STOPPOK: Dass man mit seinen Talenten richtig umgeht, sieht, was man kann und nicht übers Ziel hinaus schießt. Und dass man erkennt, dass man in einer Gemeinschaft lebt und nicht komplett unabhängig sein kann. Wir sind abhängig von der Natur und brauchen gesellschaftliche Zusammenhänge, sonst können wir nicht überleben. Das sollte man nicht negativ sehen.
Haben Sie schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, wenn Sie beschlossen haben, so einen Song wie „Klugscheißeralarm“ zu schreiben?
Die Welt ist voller Klugscheißer, die uns mit gefährlichem Halbwissen das Leben schwer machen. Generell wäre das zu verkraften, wenn nicht Leute aus der Politik, zum Beispiel Friedrich Merz, etwas anprangern würden, was sie selber verbockt haben und dadurch Leute in die falsche Richtung hetzen.
Gibt es in Ihrer Branche besonders viele Klugscheißer?
Ja klar, sie ist voll davon! Zum Beispiel Programmmacher beim Radio und beim Fernsehen, die meinen zu wissen, was die Leute hören und sehen wollen. Leider liegen sie zu oft daneben, weil sie sich nur nach irgendwelchen Statistiken richten und meist leidenschaftslos sind. Besonders auffällig war es bei der Ansage, dass man im Radio nicht länger als 1:40 Minute reden sollte, weil die Hörer sonst abschalten würden. Komischerweise verschlingen die Leute gerade wie wild Podcasts, in denen nur geredet wird.
Was fällt Ihnen an der jungen deutschen Musikszene auf?
Ich finde, es gibt sehr viel extrem gutes Zeug und die jungen Musiker gehen viel selbstbewusster und kreativer mit der Sprache um, als es noch vor 20 Jahren war. Leider versuchen auch da die Klugscheißer bei den Majorcompanies, möglichst alle in eine einheitliche Form zu pressen – nach dem Motto: Was sich einmal gut verkauft hat, verkauft sich auch die nächsten 100 Jahre gut. Auch das ist nicht besonders clever. Zum Glück halten doch einige dagegen.
Was sagen die Experten, wie wird die Musikproduktion in zehn Jahren aussehen?
Da ich kein Experte bin, kann ich für die nicht sprechen. Ich persönlich glaube, dass der platte Mainstream immer sinnloser und noch langweiliger klingen wird, aber immer wieder neue Subkulturen entstehen werden. Künstler, die sich, wie ich, ein eigenes Universum erschaffen, werden immer ein Publikum erreichen. Auch Live-Konzerte in überschaubaren Rahmen, wo die Leute sehen können, was auf der Bühne passiert, werden immer funktionieren. In der Popmusik wird im Studio so lange gestückelt, bis nichts mehr vom ursprünglichen Gefühl einer Aufnahme übrig bleibt. Die Gefühle werden nur noch über Sound beziehungsweise plakative Gesten an die Leute gebracht. Auch da kann man dagegenhalten, und das spüren immerhin noch viele Leute. Wir haben zum Beispiel das aktuelle Album wie früher analog auf einer Bandmaschine aufgenommen. Da spielt man den Song in der Grundstruktur drauf und frickelt nicht mehr daran rum. Dadurch entsteht eine ganz andere Energie und die kann man hören beziehungsweise spüren.
„Krude Gedanken schwirren durch mein Hirn“, heißt es auf dem Album. Was löst bei Ihnen krude Gedanken aus?
Das Stück habe ich in der Corona-Zeit geschrieben, als diese ganzen Verschwörungs-theorien aufkamen. Ich bin jemand, der das nicht so schnell aburteilt und sich fragt, wie ein Mensch auf solche kruden Gedanken kommt. Es gibt ja den schönen Spruch „ Glaub nicht alles, was du denkst“. Der bringt es gut auf den Punkt. Auch ich kann mich nicht von kruden Gedanken ganz frei machen, hinterfrage sie aber.
„Ich bin schon immer unglaublich dankbar gewesen, und Dankbarkeit verbinde ich mit Beten.“
Hat die Corona-Krise bei Ihnen Spuren hinterlassen?
Witzigerweise habe ich das Ganze wegstecken und ihm sogar etwas Positives abgewinnen können. Ich befand mich vor Corona in einem selbstgewählten Hamsterrad, weil ich immer unabhängig sein wollte. Das hat zur Folge, dass ich nicht in Stadien spielen und von den Einnahmen jahrelang leben kann. Sondern ich muss regelmäßig auftreten. Aber in der Corona-Zwangspause habe ich gemerkt, irgendwie geht es doch. Das war befreiend und schön. Ich habe damals eine Zeit lang Vorabendserien geguckt. Seitdem weiß ich, dass es schön ist, wenn man überhaupt nicht in Versuchung kommt, das zu gucken. Ich bin so dankbar dafür, dass ich unabhängig sein darf und in Notsituationen irgendwie klarkomme. Mehr kann man als Künstler in der Gesellschaft nicht erreichen.
Sie stellen auf dem Album die Frage nach dem Heiligen Geist, also der Kraft Gottes, die Christen über sich hinauswachsen lässt. Warum hat der sich „verzogen“?
Der Song „Kommt mal alle wieder runter“ ist auch in der Corona-Zeit entstanden. Damals wusste keiner so richtig, was da auf uns zu kommt, und man musste sich als Individuum zurücknehmen. Vor allem nicht selbstbestimmte Menschen haben sich über die Corona-Maßnahmen aufgeregt. Das ist ja im Prinzip ein kindliches Verhalten. Und der Heilige Geist ist bezogen auf das Kirchliche, an das der Mensch sich klammert und meint, darin eine Lösung zu finden. Ich glaube nicht daran. Die Lösung liegt in uns.
Sind Sie selbst sehr christlich erzogen worden?
Ja, streng katholisch. Ich war Ministrant und habe als Heranwachsender den ganzen Zirkus mitgemacht. Ich weiß, wovon ich rede. Mit 15 bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich kenne die Bibel gut, weil ich mit den ganzen Sprüchen infiltriert worden bin. Eigentlich stehen in der Bibel alle Weisheiten, die wir brauchen, aber speziell die katholische Kirche hat alles getan, damit wir die nicht mehr erkennen können. Da geht es dem Koran nicht anders.
Haben Sie sich beim lieben Gott bedankt, als Sie 2021 einen Herzinfarkt überstanden hatten?
Ich bin schon immer unglaublich dankbar gewesen, und Dankbarkeit verbinde ich mit Beten. Schon vor meinem Herzinfarkt habe ich mir morgens nach dem Aufwachen immer bewusst gemacht, dass ich lebe – und zwar gut. Das ist ja die Grundidee des Betens. Aber in den Religionen ist es zu einem Klischee geworden. Das ist wie das Schenkenmüssen zu Weihnachten. Es setzt die Leute nur unter Druck.
Im November und Dezember waren Sie auf Solotour – der ersten nach Ihrem Infarkt. War es eine besondere Tour für Sie?
Das kann man sagen. Ich wusste vorher nicht, ob ich 35 Konzerte durchhalte, gerade weil auch wieder Grippe- und Coronaviren zuhauf unterwegs waren. Aber es hat wunderbar geklappt und das Publikum war noch euphorischer und herzlicher als sonst. Vielleicht, weil die Leute genauso wie ich dankbar waren, dass ich noch am Start bin.
Das Stück „Vom Tod kein Wort“ schrieben Sie bereits vor Ihrem Infarkt. In Deutschland über den Tod oder das Sterben zu sprechen, ist nach wie vor ein Tabu. Warum eigentlich?
Weil die meisten Menschen extreme Angst vor dem Tod haben und unser Hirn zu klein ist, um sich vorzustellen, was dann mit uns passiert. Ich glaube ja, wir sind dann einfach nicht mehr da und sonst passiert nix.
Auch wenn Ihre Seele vielleicht nicht weiterlebt – Ihre Musik wird es sicher tun. Ist das irgendwie tröstlich?
Nicht wirklich. Wenn dann Leute, die mich erst nach meinem Tod entdecken, wie es vielen zum Beispiel mit Rio Reiser gegangen ist, etwas Gutes dabei fühlen, freut mich die Vorstellung natürlich. Aber ich finde es schade, dass man mich dann nicht mehr auf der Bühne erleben kann.
Zur Person
Stefan Stoppok (21. Februar 1956 in Hamburg) ist ein Liedermacher, Folk- und Rockmusiker. Er ist bekannt für seinen Stil, der Folkrock, Elemente der deutschen Liedermachertradition und einen Hauch von Humor verbindet. Er begann seine musikalische Karriere in den 1970ern als Straßenmusiker in Europa. 1982 gründete er seine gleichnamige Band, mit der er seitdem solo und mit Band auftritt. Stoppok hat viele beliebte Songs geschrieben, darunter „Ärger“, „Dumpfbacke“ und „Tanz (Beweg dein Herz zum Hirn)“. 2015 wurde er mit dem Deutschen Kleinkunstpreis in der Kategorie „Chanson/Lied/Musik“ ausgezeichnet.
Stoppok live in Bielefeld
Mittwoch, 26. November, 20 Uhr, Lokschuppen, Bielefeld;
Karten (33,70 Euro): NW und hier.