Interview

Johannes Oerding: "Aus irgendeinem Zimmer kam immer Musik"

Musik hat Oerding früh geprägt. Das Konzert am 25. März in Halle ist ausverkauft. Doch im Spätsommer tritt er open air im Ravensberger Park in Bielefeld auf!

Gut mit Hut: Johannes Oerding mit typischer Kopfbedeckung. | © Thomas Leidig

04.03.2023 | 08.05.2023, 09:20

Halle. Herr Oerding, Musik spielt nicht nur bei Ihnen, sondern im Alltag vieler Menschen eine wesentliche Rolle. Wissen Sie, warum?

JOHANNES OERDING: Musik ist eine der schönsten Kunstformen, die es gibt. Sie ist kommunikativ und verbindend, man kann sie gemeinsam ausführen und sie ist grenz- und sprachübergreifend. Ich erinnere mich, dass ich vor Jahren in Australien an einem Lagerfeuer mit Leuten aus 20 verschiedenen Nationen saß und mein Lied "Heimat" spielte. Auf deutsch. Keiner hat ein Wort verstanden, aber jedem war klar, worum es geht, weil das Gefühl des Songs spürbar war. So etwas schafft nur Musik, und deshalb liebe ich diese Form der Sprache.

Man sagt, "wo man singt, da lass dich nieder, böse Menschen kennen keine Lieder" . . .

Tatsächlich bin ich bisher selten Menschen begegnet, die überhaupt keinen Zugang zu Musik haben. Natürlich, viele können kein Instrument spielen, möchten nicht selbst singen oder wollen nicht tanzen, doch im Grunde hören sie alle trotzdem Musik. Ohne Musik wäre das Leben traurig und langweilig. Man stelle sich nur mal einen Hollywood-Film ohne Musik oder einen Horrorfilm ohne die typischen Geigengeräusche vor – da würde gar keine Spannung aufkommen. Weil Musik Stimmungen und Emotionen vermitteln kann, wie sonst kein anderes Medium.

Sie selbst machen Musik seit Kindheitstagen. War das für Sie eine Art innerer Impuls oder sind sie musikalisch erzogen worden?

Ich bin sehr dankbar, dass mir als Kind viele Möglichkeiten geschaffen wurden. Wir waren ja eine Großfamilie, ich habe drei Geschwister, und bei uns zu Hause standen quasi in jeder Ecke Instrumente herum: Trommeln, Xylophon, Trompete, Gitarre, ein Klavier, und aus irgendeinem Zimmer kam immer Musik. Das hat mich geprägt. Hinzu kommt, dass ich damals ein schmächtiger kleiner Junge mit einer hohen Piepsstimme war, der sich gegen seine Geschwister durchsetzen musste. Ich habe mir meine Rolle innerhalb der Familie sozusagen ersungen. Das Singen wurde mein Steckenpferd.

Mit welcher Musik sind Sie groß geworden?

Natürlich zuerst mit der Musik, die meine Eltern gehört haben. Allerdings hatte mein Vater keinen schönen Geschmack, er hat viel Klassik gehört, das war nicht so meins. Meine Mutter war etwas progressiver, sie hat viel Rock ’n’ Roll wie die Beatles und die Stones gehört, später sogar die "Members of Mayday". Hauptsächlich haben mich aber meine Geschwister geprägt. Aus dem Zimmer meines älteren Bruders kam viel 80er-Sound, Depeche Mode und andere Synthesizer-Musik. Bei meiner Schwerster waren es Mariah Carey und die ganzen Boybands, und bei meinem anderen Bruder gab es viel Funk und Soul – all das trage ich irgendwie in mir und deswegen bin ich sehr tolerant, was Musik an sich betrifft. Was ich privat gar nicht höre, ist Heavy Metal. Allerdings ziehe ich mir das ganz gerne live rein. Wegen der Energie, vor allem aber wegen der extremen Toleranz. Heavy Metal wirkt ja immer sehr bedrohlich, aber genau das Gegenteil ist der Fall: Auf Festivals und Konzerten herrscht eine große Verbundenheit und Toleranz, was im Widerspruch zu dieser martialischen Kulisse steht. Das finde ich sehr spannend.

Was war Ihr erstes Live-Konzert?

Als ich acht Jahre war, hat mich mein ältester Bruder zu Jon Bon Jovi mitgenommen. Es hätte zwar ein besserer Einstand sein können, allerdings war das Konzert wiederum so gut, dass ich ihn mir Jahre später auch noch mit der "Keep the Faith"-Tour angesehen habe.

"Der Körper funktioniert eben mit 41 nicht mehr so wie mit Anfang 20."

Wo waren sie zuletzt?

Bei Robbie Williams. Ich habe mir privat Tickets für den Bereich direkt vor der Bühne gekauft und bin als richtiger Fanboy dagewesen. Fünfte Reihe. Das war wirklich ein Erlebnis. Ich habe nämlich nicht, wie ich es sonst mache, die Musik analysiert, sondern einfach das Konzert genossen und mich über jeden Song gefreut sowie über die Art und Weise, wie er mit dem Publikum geredet und gespielt hat. Das war wirklich grandios.

Werden Sie bei solchen Besuchen eigentlich erkannt?

Ich versuche, mich irgendwie zu verkleiden, mit Käppi und so, aber das klappt nicht immer. Bei Robbie Williams ging das voll nach hinten los: Ich wurde entdeckt und es gab einen Riesenaufruhr, die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Also genau das, was ich vermeiden wollte. Einige Leute waren aufgeregt und wollten Autogramme. Klar, das ist schon eine Ehre, und mir wird in solchen Momenten immer wieder klar, dass es für viele Menschen etwas ganz besonderes ist, jemanden Berühmtes zu treffen.

Sie kennen ja beide Seiten der Bühne – als Fan und als Künstler. Wie ist das für Sie, selbst auf die Bühne gehen zu können?

Musik und insbesondere das Livespielen ist für mich eine Form, mein Leben zu verarbeiten. Andere gehen ins Fitnessstudio, laufen Marathon oder schreiben Tagebuch – ich schreibe eben Songs, die ich den Leuten darbiete in der Hoffnung, Applaus zu bekommen. In gewisser Weise ist es ein Fishing for Compliments und der Wunsch, ein gutes Gefühl zu bekommen, weil man etwas Sinnvolles gemacht hat. Das Gefühl tritt vor allem live ein, da macht plötzlich alles Sinn, weil man auf der visuellen Ebene sieht, was deine eigene Musik bei anderen auslöst. Manche Leute grinsen, andere liegen sich in den Armen oder verdrücken eine Träne – das gibt einem das Gefühl, als Songwriter einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft geleistet zu haben.

Wie muss man sich die Stunden oder Minuten vor Ihren Auftritten vorstellen? Haben Sie Lampenfieber, gibt es ein bestimmtes Ritual?

Lampenfieber habe ich nicht, aber eine gewisse Aufregung, die sich darin äußert, dass ich sehr fokussiert bin und im Kopf noch einmal alles durchgehe, was gleich auf der Bühne passieren wird. Anschließend gehe ich zur Band und wir trinken traditionell einen Ramazzotti. Ich halte dann noch einmal eine kleine Predigt im Kreis, bei der ich daran erinnere, warum wir hier sind, wo wir spielen und dass es die Leute heute genauso verdient haben, dass wir unser bestes geben, wie die Leute gestern und morgen. Das ist so unser Ritual, der Rest ist: Let it flow!

Wie trainieren Sie Ihre Stimme? Gibt es gewisse Verbote, die Sie sich auferlegen, zum Beispiel keinen Alkohol trinken?

Stimmbänder sind wie ein Muskel, den man trainieren muss, damit man keinen Muskelkater bekommt. Wenn ich auf Tour bin, dann sieht mein Training so aus, dass ich nach den Konzerten versuche, die Klappe zu halten, mir genug Schlaf gönne und wenig Alkohol trinke. Gott sei Dank habe ich auch wieder mit dem Rauchen aufgehört. Der Körper funktioniert eben mit 41 nicht mehr so wie mit Anfang 20. Da kann man Alkohol trinken ohne Ende, die Nacht im Club durchfeiern und nächsten Tag wieder auf der Bühne stehen. Aber jetzt im Alter, da braucht es schon eine gewisse Regeneration.

Sie sind eigentlich studierter Diplom-Betriebswirt – hat ihnen das Studium irgendwann einmal genützt?

Absolut. Jedes Studium und jede Ausbildung nützt. Ich bin ja nicht nur Künstler, sondern auch selbstständiger Unternehmer, der Strategien entwickeln, aber auch die Buchführung machen muss. Es ist also nicht verkehrt, über gewisse kaufmännische Abläufe Bescheid zu wissen. Allerdings bin ich froh, dass es Leute gibt, die diese Dinge für mich erledigen können.

INFORMATION


Über den Künstler

Johannes Oerding ist am 26. Dezember 1981 in Münster geboren, lebt aber seit vielen Jahren in Hamburg. Er ist mit der Moderatorin und Sängerin Ina Müller liiert. 2009 veröffentlichte der Popsänger und Songwriter mit "Erste Wahl" sein Debütalbum. Zwischen 2011 und 2019 folgten fünf weitere Longplayer. Mit "Konturen" gelang ihm der Sprung an die Spitze der Deutschen Albumcharts.

Der Gewinner-Coach von "The Voice of Germany" 2021 ist 2023 erneut als Gastgeber und Künstler bei "Sing meinen Song – das Tauschkonzert" dabei. Oerding schreibt auch Texte für andere Künstler wie Udo Lindenberg, Ina Müller und Peter Maffay.

Ende 2022 hat der 41-Jährige sein nunmehr siebtes Album "Plan A“ veröffentlicht, das er gemeinsam mit seiner Band am Samstag, 25. März, 18.30 Uhr in der OWL-Arena in Halle präsentieren wird. Das Konzert ist ausverkauft.

Außerdem spielt Johannes Oerding ein Open-Air-Konzert am Freitag 25. August, 20 Uhr im Ravensberger Park in Bielefeld.

Karten (62€) gibt’s bei der NW und unter www.nw.de/events