Interview

Pop-Legende Alphaville spielt in Bielefeld - wir haben mit Sänger Marian Gold gesprochen

Sie gelten als einflussreiche Wegbereiter des Synthie-Pop: Alphaville. Mit dem neuen Triple-Album „Forever! Best Of 40 Years” geht die in Münster gegründete und in Berlin lebende Band auf große Jubiläumstournee. Ein Gespräch mit Frontmann Marian Gold (70).

23.02.2025 | 23.02.2025, 08:30

Herr Gold, Sie sind in der deutschen Indie- und Undergroundszene groß geworden. Mit „Big In Japan“ kamen Alphaville 1984 in England in die Top Ten und in den USA in die Billboard Hot 100. Waren Sie da schon Profimusiker?

MARIAN GOLD: Nein, wir waren überhaupt keine Profis. Ich stelle es mal anheim, ob ich heute einer bin. Wenn andere das über mich behaupten, ist das okay, aber die Attitüde von Professionalität möchte ich mir als Musiker selbst nicht geben. Ich bin getrieben von obsessiver Liebe zur Musik und begebe mich immer wieder voller Neugierde auf für mich neues Territorium. Wir erfinden uns von Album zu Album neu. Und da gibt es immer Unsicherheiten, die einen dazu bringen, dass man aus professioneller Sicht Fehler macht, aus kreativer Sicht aber nicht.

Wie gehen Sie als Künstler mit Fehlern um?

Sie bringen uns meistens dazu, dass wir über uns selbst hinauswachsen. Unsere Fähigkeiten und unser Instrumentarium waren anfangs sehr eingeschränkt. Als wir noch keine Rhythmusmaschine besaßen, haben wir Loops hergestellt. Das kannte ich von Brian Eno. Der hat Aufnahmen von Schallplatten auf Band geloopt und so zusammengeklebt, dass daraus ein Groove entstanden ist. Genau so haben wir bei unseren ersten Stücken gearbeitet. Und zu diesen Loops haben wir live gespielt, weil wir keinen Schlagzeuger wollten. Als wir dann aufgrund unseres monumentalen Erfolgs in Geld schwammen und uns alles leisten konnten, gab es es unheimlich viele Möglichkeiten. Aber das hätte uns nicht viel weitergeholfen.

Zu „Big in Japan“ wurden Sie inspiriert durch Berlins Drogenmilieu am Bahnhof Zoo. Geschrieben haben Sie den Text schon Mitte der 1970er. Kannten Sie Menschen aus diesem Umfeld persönlich?

Ja, ich war selbst eine Zeit lang obdachlos. Nach dem Abitur wurde ich zur Bundeswehr eingezogen, aber nach zehn Monaten haben sie mich wieder rausgeschmissen, unehrenhaft, wie man mir erklärte. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was ich machen sollte und hatte auch keinen Kontakt zu meiner Familie. Ich bin dann von Plön nach Hannover gefahren und einfach in den nächsten Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis gestiegen. Der fuhr nach Warschau, und in Westberlin musste ich aussteigen. Plötzlich fand ich mich mit einem Seesack am Bahnhof Zoo wieder.

Wie ging es für Sie weiter?

Die ersten Monate war ich mehr oder wenig obdachlos, das ging bis in den Winter hinein. Am Bahnhof Zoo lernte ich Punks kennen, die dort abhingen. Die wohnten in besetzten Häusern oder in Garagen. Die Dramen und Tragödien in diesem Umfeld haben einen tiefen Eindruck auf mich hinterlassen. Aus dieser Situation heraus ist der Text für „Big in Japan“ entstanden.

Aus welchem Grund wurden Sie unehrenhaft entlassen?

Ich war zu dieser Zeit sehr unmotiviert und an allem desinteressiert. Den Wehrdienst zu verweigern war mir zu anstrengend, dann hätte ich lügen müssen. Ich war ein ziemlich nutzloser Null-Bock-Typ, der dachte, er könnte die Bundeswehrzeit auf der linken Arschbacke absitzen. Aber dann stellte sich heraus, das Befehl und Gehorsam überhaupt nicht mein Ding waren und ich ganz schnell mit Vorgesetzten aneinandergeriet. Dieser Rausschmiss war meine Rettung.

Wie haben Sie es schließlich geschafft, in Berlin Fuß zu fassen?

ndem ich Bernd (Bernhard Lloyd) und Frank (Mertens) kennenlernte, die wie ich künstlerische Interessen hatten. Auf einmal versammelten sich solche Leute um mich herum. Wir waren alle politisch links gestrickt und gründeten in Münster die Nelson Community, in der jeder von uns neun seine kreativen Fähigkeiten erproben konnte. Irgendwann leisteten wir uns eine erste Rhythmusmaschine und einen Sequenzer. Auf letzterem haben wir den „Bachtrompetensatz“ für „Forever Young“ programmiert. (lacht). Das darf man eigentlich gar nicht erzählen. Obwohl auf einmal ganz viel Geld da war, ist das Nelson-Projekt zu meiner großen Freude noch bis Mitte der 1990er ohne die üblichen Streitereien weitergelaufen.

Das dritte Alphaville-Album – „The Breathtaking Blue“ – wurde von Elektronik-Pionier Klaus Schulze produziert. Was hat er Ihnen über Synthesizermusik beigebracht?

Zu dem Zeitpunkt hatten wir schon unser eigenes Tonstudio in Westberlin am Mehringdamm. Klaus lernten wir über einen Bekannten kennen, der hochpreisige Mikrofone verkaufte und reparierte. Eigentlich wollten wir „The Breathtaking Blue“ alleine durchziehen, aber nach ein paar Nächten mit Klaus kamen wir auf die Idee, die Platte gemeinsam zu realisieren. Er meinte, das würde schnell vonstatten gehen. Das wollte er beweisen, indem er sich den Bart nicht mehr kürzte. Die Produktion dauerte dann ein Jahr, und sein Bart reichte ihm am Ende fast bis zum Bauchnabel. Durch Klaus kamen wir auf völlig neue Ideen. Manchmal sind aus einer Idee drei neue Stücke entstanden, und auf dem Album sind deswegen viele Stilistiken vertreten.

Sie sind siebenfacher Vater. Als frei schaffender Künstler weiß man oft nicht, woher man im nächsten Monat das Geld für die Miete kriegen soll. Woher bezogen Sie immer die Zuversicht, die man in diesem Job braucht?

Diese Zuversicht hatte ich schon immer. Ab dem Moment, in dem wir uns entschlossen hatten, Musiker zu werden, mussten wir uns um finanzielle Dinge keine Sorgen mehr machen. Seit 1984 ist alles super gelaufen.

1993 haben Alphaville kurz nach Ende des libanesischen Bürgerkriegs in Beirut gespielt. Wie haben Sie das Land erlebt?

Diese zwei Konzerte waren einer der bewegendsten Momente in meiner Karriere. Als wir Musiker in Schönefeld ins Flugzeug stiegen, fragte uns ein Geschäftsmann, ob wir auch nach Beirut wollten. Er konnte es nicht glauben. Von oben, während des Anflugs, sah die Stadt aus wie Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir wurden von schwer bewaffneten Soldaten im Eiltempo in den christlichen Teil der Stadt eskortiert, da waren die Zerstörungen weniger dramatisch.

Und wie waren die Konzerte?

Einfach überwältigend. Solch eine Hingabe habe ich nie wieder erlebt. Die Leute waren total beglückt, weil unser Konzert für sie ein Moment von friedvoller Normalität bedeutete.

Werden Sie mit dem neuen Album auch wieder um den Globus touren?

Wir sind seit Mitte der 1990er auf einer Never-ending-Tour. Wir sind eigentlich immer unterwegs, wenn wir nicht gerade im Studio sind. Nach der Tour zum Album werden wir wieder normale Rockshows spielen mit einem etwas anderen Programm. Diese Shows führen uns immer in alle möglichen Himmelsrichtungen. Ich hoffe, ich kann das noch eine Zeit lang machen, ich bin mittlerweile 70 Jahre alt. So langsam geht mir der Rock in die Knochen, aber Konzerte machen mir noch immer wahnsinnig viel Spaß. Ich bin halt ´ne Rampensau. Auf der Bühne geben wir alles. Es ist jedes Mal ein ekstatisch-orgiastischer Moment. Man wird süchtig danach.

Über die Band

Alphaville haben sich im Frühjahr 1983 in Münster gegründet. Die Gründungsmitglieder sind alle in OWL geboren, Sänger Marian Gold kommt aus Herford und Bernhard Lloyd sowie Frank Mertens stammen aus Enger. Stilistisch starteten Alphaville ihre Karriere mit Synthesizer-lastigem, juvenilem Synth-Pop, der perfekt in die Stimmung der frühen 80er passte. 1984 entstand ihre erste Single „Big In Japan“, welche die Band zusammen mit den darauffolgenden Songs „Sounds Like A Melody“, „Forever Young“ und dem gleichnamigen Debütalbum zu einer der weltweit erfolgreichsten deutschen Gruppen des Jahrzehnts machte. Nachdem im März 1992 das erste Best-of-Album „First Harvest 1984-92“ veröffentlicht worden war, gaben Alphaville im Sommer 1993 auf Einladung der deutschen Botschaft des Libanons in Beirut ihr erstes Konzert seit zehn Jahren.

Alphville live in Bielefeld

Sonntag, 9. März, 20 Uhr, Stadthalle, Bielefeld;

Karten (ab 75,85 Euro): NW und hier.