
Herbst- und Winterzeit ist Horrorfilm-Zeit. Der Streaming-Riese Netflix bietet mit „Mr. Harrigan’s Phone“ Nachschub für Genre-Fans auf der Plattform an. Der Film basiert auf der gleichnamigen Novelle aus der Novellensammlung „Blutige Nachrichten“ von Horror-Altmeister Stephen King. Lohnt sich das Einschalten?
Die Handlung klingt erst einmal vielversprechend. Kleinstadt-Junge Craig (Jaeden Martell, bekannt aus „Es“ und „Es – Kapitel 2“) liest dem zurückgezogen lebenden Milliardär John Harrigan (gespielt von Hollywood-Größe Donald Sutherland) drei Mal pro Woche aus Büchern vor, weil dessen Augen immer schlechter werden. Zwischen den beiden entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft. Schließlich macht er den alten Mann mit neuer Technik vertraut und schenkt ihm ein iPhone. Als Harrigan plötzlich stirbt, steckt Craig ihm das Handy in den Totenanzug. Später bekommt Craig dann eine SMS – scheinbar von seinem toten Freund aus dem Grab, mit dem er übernatürlichen Kontakt eingeht. Als der Junge sich dann auf der Mailbox über einen rüpelhaften Schulkameraden ärgert und dieser plötzlich tot aufgefunden wird, kommt die Frage auf: Hat der tote Mr. Harrigan etwas damit zu tun?
Die Schauspieler machen einen guten Job. Donald Sutherland verkörpert den alten Mr. Harrigan, der von der Öffentlichkeit aufgrund seiner Machenschaften als skrupelloser Geschäftsmann gefürchtet ist und zunächst neue Technik ablehnt, glaubwürdig. Auch wenn er die ganze Zeit über nur mit ernster Miene im Sessel sitzt, strahlt er doch etwas Erhabenes und Mysteriöses aus. Auch Jaeden Martell als Craig überzeugt. Ihm nimmt man auf jeden Fall ab, dass er dem alten Mann sehr gerne vorliest und einen Freund in ihm sieht – auch wenn dieser eben eher etwas Erhabenes hat. Das wird vor allem deutlich, als Harrigan stirbt. Hier wird der Schauspieler gefordert: Seine Verzweiflung, dass ein guter Freund und damit auch die guten Gespräche fehlen, wirkt echt. Nicht umsonst ruft der Charakter auf dem Handy des Verstorbenen an, um dessen Stimme zu hören.
Dem Horrorfilm fehlen die großen Schockmomente
Das Hauptproblem des Films ist allerdings, dass er schwer in Gang kommt. Am Anfang dauert es zu lange, die Verbindung zwischen Craig und Mr. Harrigan darzustellen, ohne aber große Spannungsmomente aufzubauen. Der Zuschauer fragt sich unweigerlich: Will man hier wirklich einen Horrorfilm zeigen oder ist es doch eher ein Drama um eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen Menschen unterschiedlicher Generationen? Oder ein Coming-of-Age-Film, also die Geschichte über das Erwachsenwerden von Craig?
Horrorfilm-Fans wollen Beklemmung verspüren, sich gruseln, bei Schockmomenten den Atem anhalten oder zumindest subtilen Horror spüren. Stattdessen wird hier und da etwas Medienkritik eingestreut, welche Probleme das Internet mit sich bringt und warum Handys durchaus auch kritisch zu sehen sind. Denn der Verfall von Mr. Harrigan beginnt erst dann, als er das Handy geschenkt bekommen hat. Bis es übernatürlich wird, dauert es seine Zeit. Und auch dann bleiben große Schockmomente aus – stattdessen rückt die Frage ins Zentrum, wie weit Craig mit der Verbindung ins Reich der Toten noch gehen wird und inwiefern er das ausnutzen könnte.
Insgesamt passiert in dem 106 Minuten langen Film von Regisseur John Lee Hancock („The Blind Side“) aber zu wenig. Das könnte auch dem Fakt geschuldet sein, dass es sich bei dem Werk von Stephen King eben nur um eine Kurzgeschichte handelt und Hancock für die Verfilmung Horror- und Mystery-Elemente noch stärker hätte herausarbeiten müssen.
Für wen lohnt sich der Film?
Fazit: Echte Horrorfilm-Fans kommen hier nicht auf ihre Kosten. Anders als der Trailer vermuten lässt, fehlen die großen Spannungs- und Schockmomente. Der Film wirkt stattdessen so, als habe man sich nicht entscheiden können, welches Genre man eigentlich bedienen will: Drama, Coming-of-Age oder doch Horror? Immerhin machen die beiden Hauptdarsteller einen passablen Job, so dass der Film vielleicht für absolute Stephen-King-Fans, die sowieso jede Verfilmung schauen, zumindest etwas unterhaltsam ist.
„Mr. Harrigan’s Phone“ steht seit dem 5. Oktober bei Netflix zum Streamen bereit.