Bielefeld. Na, ihr Ficker?“ Eine vielleicht nicht ganz unerwartete Begrüßung des Publikums in der Bielefelder Stadthalle durch Jan Böhmermann, den Meister des kalkulierten Tabubruchs. Nicht im gewohnten Anzug heute, sondern (zunächst) im Popstar-Outfit: Schnäuzer und Sonnenbrille im Gesicht, Glitzerhose und Pelzmantel am Körper. Aus echtem Fell, wie Böhmermann beteuert, zwei Nazis vorm Bahnhof über die Ohren gezogen.
Heute geht es weitestgehend nur um Musik. Dafür gehört dem cleveren medialen Multifunktionstool, anders als im TV, auf der Tournee „Ehrenfeld ist überall“ die Primetime. Pünktlich um 20.15 Uhr eröffnet das bewährte Rundfunktanzorchester Ehrenfeld für den Maestro, hier fehlt nur die Showtreppe.
Satire auf die angesagte Schlagerpop-Welle
„Der politische Schlager lebt“, strahlt Jan Böhmermann und verspricht, auf dem Grab von Adorno zu tanzen. Genauso, wie man weiß, dass Adorno nicht gerade Freund leichter Unterhaltung war, geht es hier und heute Abend nicht um wenn auch tanzbare philosophische Unterrichtsstunden an der Frankfurter Schule. Vielmehr zunächst um Deutschlands letzten Unique Selling Point: „Baby got Laugengebäck“ als 70er/80er-Crossover zwischen Shakatak und ABC. Glam und Schnauz, da haben wir es wieder.
Freunde und Helfer in Uniform sind für den Polizistensohn natürlich ein besonderes Thema. Die Abrechnung mit dem umstrittenen Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt kommt als schmissiger karnevalistischer Gassenhauer, „Keine Nazis in Sachsen“ karikiert gekonnt die offizielle Scheuklappenpolitik gegen Rechts als clever mit dem bekannten Video vom Pegida-LKA Mann Maik G. verwobenes Stück Bigband-Jazz.
Er parliert charmant mit dem Publikum
„Menschen Leben Tanzen Welt“ ist eine wunderbar lustige Satire auf die so angesagte deutsche Schlagerpop-Welle zwischen Giesinger und Bourani mit Texten aus dem Buzz-word-Generator. Dazwischen parliert Böhmermann charmant, wie er nun mal ist, mit dem Publikum, wünscht sich Brücken zu bauen zwischen Bühne und Publikum, zwischen den Menschen im Publikum. Verspricht aber auch, sie wieder einzureißen, loszulassen, damit alle am Ende in Ruhe nach Hause gehen können, wie sie gekommen sind.
Es stockt der Atem, als er die legendären frittierten Hähnchen von Generotzky an der Herforder Straße erwähnt. Damit kennt Jan eines der wesentlichen Dinge, welche diese Stadt ausmachen, eins mehr als 99 Prozent aller anderen diese Stadt besuchenden Künstler und hat ab sofort einen Stein im Brett.
Ein 17-köpfige, gute geölte Maschine ist das Orchester
Bekannte Gäste aus dem Neo-Magazin unterstützen die Show. Der Beefträger ist Stichwortgeber einer bitteren Zustandsbeschreibung der Situation im heutigen Logistikwesen in Brecht/Weill-Manier: „Keiner da, Zettel rein, Treppe, ab“. Florentin Will bringt seine allerliebste Marderhasserminiatur und setzt den gewissenlosen Nagetieren eine sanft gezupfte akustische Gitarre entgegen. Giulia Beckers nachdrückliches Statement zu Frauenrecht und Gleichberechtigung „Verdammte Schei*e“ fordert die gesamte Breitwand des Orchesters und die aktive Mitarbeit nicht nur der Frauen im Publikum.
Ja, das Rundfunktanzorchester Ehrenfeld liefert über den ganzen Abend die verlässliche Struktur. Eine 17-köpfige, gut geölte Maschine inklusive Streichquartett und mit brillanten Solisten, die alles spielen kann und es mit Böhmermann-Songs auch tut. Der aber vielleicht einmal zu oft die Aufgabe zufällt, sich selbst zu präsentieren und dem Star des Abends Umkleidepausen von Glitzerjacken zu Streetwear/Rapperhoodie und zurück zu verschaffen.
Wenig kontrovers, aber witzig und mit Tiefgang
Dann grooven sie zwar ganz flockig aber doch auch etwas beliebig und eindimensional daher, die Vocals – weitgehend verfremdet über Vocoder/Autotune – „neutralisieren“ zusätzlich die Chemie. So bleibt oft der Eindruck von Pausenüberbrückung. Wie im TV halt.
Pünktlich um 21.45 ist Schluss. Zugabe, Sondersendung. Die Blauen Teil 3, der Hit „Ich hab Polizei“, nochmal voll fett, eine Herman van Veen-Annäherung voll berührend. Ein überraschend unterhaltsamer Abend nur mit Musik, ohne den sprechenden Böhmermann zu vermissen. Wenig kontrovers, aber witzig und durchaus mit Tiefgang. Dann gehen, wie versprochen, alle in Ruhe nach Hause, wie sie gekommen sind. Es folgt, etwas verschoben wegen der Sondersendung, das heute Journal.