Herr von Donnersmarck, stellt sich ein Gefühl der Erleichterung ein, wenn ein Film endlich komplett ist?
Florian Henckel von Donnersmarck: Ja. Der Film ist ja erst kurz vor Venedig fertig geworden. Es ist schon ein gewisses Gefühl der Entspannung, wenn man sagen kann: „Endlich geschafft!". Die Arbeit an „Werk ohne Autor” hat vier Jahre gedauert. Und man lebt die ganze Zeit in einer Anspannung. Schafft man es, den Film so hinzubekommen, wie man ihn vor seinem geistigen Auge sieht? Wenn ein Film fertig ist, muss er mindestens einer Person gefallen: dem Regisseur. Alles andere ist ein schöner Bonus.
Warum wollten Sie den Film „Werk ohne Autor" machen?
von Donnersmarck: Ich finde es immer spannend, vom ganz Kleinen ausgehend ins ganz Große zu springen. Einem großen geschichtlichen Ereignis wie der Bombardierung Dresdens seinen Raum zu geben, aber auch einem kleinen Pinselstrich, mit dem man dieses Ereignis vielleicht verarbeitet. Es geht in „Werk ohne Autor” um Opfer und Täter der Nazi Diktatur, aber auch ganz einfach um einen Schwiegervater, der versucht, seinen Schwiegersohn zu zerstören, weil er findet, dass der seine Tochter nicht verdient hat. Und um einen jungen Mann, der unter widrigen Bedingungen seinen Weg als Künstler finden muss. Insofern hat diese Story viel mit unser aller Leben zu tun. Dieses sich Befreien, sich Freischwimmen – das ist das eigentliche Thema des Films.
Gelten diese Aspekte auch für Ihr eigenes Leben?
von Donnersmarck: Ich habe versucht, im Spezifischen dieser Geschichte das Allgemeingültige zu finden. Die Unterschiede zwischen den Menschen sind gar nicht so groß, diese Überzeugung habe ich. Statt die Gemeinsamkeiten zu suchen, fokussiert man so sehr auf diese Unterschiede. Das ist ein Fehler. Ein gut gemachter Film ist ein demokratisches Medium. Er wird alle Menschen gleichermaßen packen, sofern sie mit offenen Herzen hineingehen. In ihrem Film gibt es mindestens zwei Situationen, die den Bereich des Übernatürlichen berühren. Kurt spürt in Seebands Büro die Gegenwart seiner verstorbenen Tante. Außerdem empfängt er in seinem Atelier Hinweise auf den Täter.
Glauben Sie an Zeichen und Wunder?
von Donnersmarck: Wenn man offen dafür ist, sie zu sehen, gibt einem das Leben die ganze Zeit Lösungen für unsere großen Fragen mit auf den Weg. Angefangen mit unseren Träumen, die wir alle schändlich vernachlässigen. Es gibt Methoden, um sich morgens an seine Träume zu erinnern. Im Traum gibt uns ein rational nicht ganz zu erfassender Teil unseres Wesens Antworten auf große Fragen, die wir mit unserem Verstand nicht durchdringen können. Mit der Kunst verhält es sich ähnlich. Gerhard Richter wurde einmal gefragt, was er beim Malen eines bestimmten Bildes gedacht habe. Er antwortete: „Ich habe nicht gedacht. Ich habe gemalt.". Für mich bedeutet das, dass man ein Problem durch Denken lösen kann, aber auch durch Malen oder eine andere Aktivität. Durch Liebe.
Was macht für Sie künstlerische Freiheit aus?
von Donnersmarck: Ich finde es sehr gefährlich, die künstlerische Freiheit einzuschränken, durch Gesetze, durch Zensur. Ich bin ein großer Verfechter dieser Freiheit, auch wenn sie mitunter mit Verletzungen einhergeht. Ich glaube nicht daran, dass man an der Zensur vorbei Kunst erschaffen kann, indem man seine Botschaften verschlüsselt. Für mich zählt nur der ganz direkte, freie Ausdruck.
Ihr Film betrachtet die moderne Kunst auch mit einem Augenzwinkern.
vonDonnersmarck: Das stimmt. Bei dem Versuch, sich von jeglicher Tradition und jeglichem Einfluss und auch jedem Handwerk freizumachen, entsteht natürlich auch viel Unsinn. Im Bereich der Gegenwartskunst gibt es unglaublich viel Quatsch. Und es existieren viele Grauzonen, in denen die Menschen vielleicht selbst gar nicht so genau wissen, ob sie jetzt Scharlatanerie betreiben oder etwas Echtes empfinden. Gleichzeitig gibt es in der Gegenwartskunst aber auch große Genies, die unser Land und die ganze Welt mit ihren Arbeiten voranbringen. Von so einer Gruppe erzähle ich in dem Film. Diese Menschen betreiben im künstlerischen und spirituellen genauso bedeutsame Wiederaufbau- und Trümmerarbeit wie unsere Großmütter, die mit Schubkarren den Schutt des Krieges weggeräumt und die Häuser wiederaufgebaut haben. Ich möchte den Blick dafür schärfen, wo in der Kunst man etwas Echtes finden kann.
Als eine Inspirationsquelle diente auch die Biografie von Gerhard Richter. Warum trägt der Protagonist im Film einen anderen Namen?
von Donnersmarck: Weil es ist nicht sein Leben ist. Er ist nur eine von vielen Inspirationsquellen. Ich will mir alle Freiheiten nehmen können und ein eigenes Kunstwerk schaffen. Es wäre mir zu wenig, einfach nur einen Lebenslauf abzufilmen. Ich wurde vom Leben des Gerhard Richter inspiriert und auch von Joseph Beuys und vielen, vielen anderen. Es handelt sich um Dichtung, das sieht man auch an den Namen.
Zur Person:
- Gleich mit seinem Abschlussfilm der Hochschule für Fernsehen und Film München, dem Stasi-Drama „Das Leben der Anderen" (2006), erlangte Florian Maria Georg Christian Graf Henckel von Donnersmarck (45) Oscar-Ehren und Weltruhm.
- Auch die zweite Arbeit des gebürtigen Kölners war ein kommerzieller Erfolg. Der stylishe Thriller „The Tourist" mit Angelina Jolie und Johnny Depp war 2011 für einen Golden Globe als „Bester Film" nominiert.
- Nun legt der studierte Philosophie-, Politik- und Ökonomiewissenschaftler und Schüler von Richard Attenborough seinen dritten Kinofilm vor. „Werk ohne Autor" erzählt die Geschichte eines jungen Künstlers, der in der Nazizeit aufwächst und später in der DDR und der BRD seinen Platz im Leben sucht.