Kultur

Nachruf auf Lemmy Kilmister: Tod einer Rock’n’Roll-Ikone

Sänger und Bassist der Band „Motörhead“ ist zwei Tage nach seiner Krebsdiagnose gestorben

Unverkennbar: Lemmy Kilmister. Der Musiker starb zwei Tage nach einer Krebsdiagnose. | © dpa

Tobias Schreiner
30.12.2015 | 30.12.2015, 07:00

Er war wie eine Naturgewalt. Ob auf oder neben der Bühne, Lemmy Kilmister übertrat alle Grenzen. Mit Motörhead gebar er seit 1975 die schnellste und dreckigste Musik, die es bis dahin je gegeben hatte. Roh, ungeschliffen, ohne viele Schnörkel, Rock’n’Roll aufs Maul – das war Motörhead, das war Lemmy Kilmister.

Zum ersten Mal sah ich Lemmy 2009 auf dem Wacken Open Air. Ich war 17 Jahre alt und es war mein erstes Festival. Im Publikum standen größtenteils alte Männer, bärtig und mit langen Haaren. Sie trugen Jeans- oder Lederkutten mit Nieten und Aufnähern. Ich hatte eine Prinz-Eisenherz-Frisur und trug mein frisch erstandenes Festivalshirt.

Motörhead kannte ich damals nur flüchtig, doch als ich zum ersten Mal in meinem Leben hörte, wie die heisere Stimme dieser Legende ins Mikro stöhnte „We’re Motörhead and we play Rock’n’Roll", da war ich einer von diesen tausenden headbangenden Jüngern, die gekommen waren, um dem Gott des Rock zu huldigen. Über der Bühne hing das gewaltige Modell eines Weltkriegsbombers und Motörheads Songs rollten über das Publikum wie eine Sturmflut. Die tiefen Bassfrequenzen dröhnten so laut, dass der Boden bebte. Motörhead waren jahrelang die lauteste Band der Welt. Angeblich brachte Lemmy mit seinen Bassfrequenzen sogar einmal bei einem Konzert ein nahegelegenes Haus zum Einsturz. Dass das kein Ammenmärchen ist, konnte ich mir seit diesem Konzert gut vorstellen.

Lemmys Lebensstil war sagenumwoben. Angeblich trank er eine Flasche Whiskey täglich. Von Monogamie hielt der Mann mit der Warze im Gesicht herzlich wenig. In einem Interview der Süddeutschen Zeitung sagte er: „Ich hab’ keine Lust auf eine Frau. Lemmydarling, wann kommst du heim? Wieso gehst du nur wieder in die Bar? Das geht nicht. So kann man nicht arbeiten. Ehefrauen auf Tournee sind schlimmer als der zweite Weltkrieg." Schnaps, Huren, Rock’n’Roll – darum ging es in Lemmys Texten. Aber die Rebellion des stolzen Briten war kein bloßes Image. In seinen Songs polterte Mr. Kilmister regelmäßig gegen Politik und Religion. George Bush war für ihn das „größte Arschloch des Universums" und „God Save the Queen" ist nun wirklich keine Lobeshymne auf die britische Königin.

Seit 2009 habe ich Motörhead jedes Jahr mindestens einmal live gesehen. Und oft genug habe ich mich auf Festivals gefragt: Soll ich schon wieder meinen von Dosenbier, Ravioli und tagelangem Schlafentzug geplagten Körper für Songs wie „Bomber" oder „Love Me Like A Reptile" vor die Bühne schleppen? Ich tat es, weil mir bewusst war, dass jedes Konzert mit Lemmy sein letztes sein könnte. Dass er überhaupt 70 Jahre alt geworden ist, grenzt an ein Wunder. Während der diesjährigen Tour zum 40-jährigen Bandjubiläum und dem neuen Album „Bad Magic" musste Lemmy mehrere Konzerte abbrechen. An Heiligabend feierte er seinen 70. Geburtstag. Nun hat er sich aus diesem Leben, das er so leidenschaftlich und kompromisslos gelebt hat, nach einem kurzen, aggressiven Krebsleiden verabschiedet. Doch auch wenn Lemmy nicht mehr live auf der Bühne stehen wird, seine Musik lebt weiter.

Ob wir trauern sollten? Wenn es nach Lemmy gehen würde, sollten wir wohl besser eine fette Abschiedsparty schmeißen.

In Kürze

  • Kilmister war Roadie bei Jimi Hendrix und brachte Sid Vicious (Sex Pistols) das Bassspiel bei.
  • Bekannt für exzessiven Alkoholkonsum, probierte er nach eigenen Angaben jede Droge außer Heroin.
  • Besaß eine riesige Sammlung von Nazi- und Zweiten- Weltkriegs-Devotionalien, hatte großes Interesse an Geschichte.
  • Wurde aus der Band Hawkwind geworfen, weil er an der kanadischen Grenze mit Speed erwischt worden war, gründete daraufhin Motörhead.
  • Großer Fan der Beatles, von Little Richard und Chuck Berry.
  • Hasste es, wenn Motörhead als Heavy-Metal-Band bezeichnet wurde, er bezeichnete Motörhead immer als „dreckige Rock’n’Roll-Band".
  • War nie verheiratet, hat zwei Söhne.

Sprüche

  • Der Motörhead-Sänger war auch berühmt für seine Sprüche. Eine Auswahl:
  • „Ich bin immer noch wütend und sollte es auch sein. In der Welt passiert so viel Scheiße, und es wird immer schlimmer, nicht besser." (2014)
  • „Rock’n’Roll ist definitiv nichts für alte Leute, das ist amtlich. Unser Geheimnis ist wohl, dass wir eigentlich immer noch Kinder sind." (2015)
  • „Rassismus ist das Übel unserer Welt. Nazi sein bedeutet, dass du verloren hast, bevor du anfängst. Du kannst nicht gewinnen. Du bist nur dumm." (2003)
  • „Es sah einfach gemeiner aus. Deutscher."(Über das „ö" im Bandnamen)
  • „Ich bin von Whiskey auf Wodka umgestiegen." (Auf die Frage, wie sich sein Leben in den letzten Jahren verändert habe)