Bielefeld. Zwölf Jahre Zeit ließ sich der Regisseur des Erfolgsfilms „Good Bye, Lenin!“, Wolfgang Becker, für seinen nächsten Film. Am Donnerstag kommt „Ich und Kaminski“ in die Kinos, ein Roadmovie basierend auf dem Roman von Daniel Kehlmann. Bei der Vorpremiere im Bielefelder Lichtwerk sprach Lasse Lassen mit dem 61-jährigen Regisseur über das Verhältnis zu Autor Kehlmann und Hauptdarsteller Daniel Brühl, unliebsame Kritiker und die Nachteile der Generation „Gefällt mir“.
Herr Becker, „Ich und Kaminski“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Daniel Kehlmann. Was hat sie dazu bewogen, gerade dieses Buch zu verfilmen?
Wolfgang Becker: Das Ganze war ein glücklicher Zufall. Ich war mit Daniel Brühl zum Start von „Good Bye, Lenin!“ zu Gast beim ORF und traf dabei auf Daniel Kehlmann, der gerade seinen Roman „Ich und Kaminski“ vorstellen wollte. Der hat mir das Buch dann in die Hand gedrückt. Richtig gelesen habe ich es aber erst nach fünf Jahren.
Sie haben das Drehbuch wieder mit einem Co-Autor, Thomas Wendrich, verfasst...
Becker: Das liegt daran, dass ich nicht so gut alleine schreiben kann. Thomas Wendrich entpuppte sich sehr schnell als der richtige Partner. Die Chemie muss einfach stimmen, denn so ein Drehbuch zu verfassen, ist immer so etwas wie eine Ehe auf Zeit. Man trifft sich drei- viermal die Woche und muss sich dann permanent die Bälle zuspielen.
Roadmovie und Verwirrspiel
- Hauptfiguren sind der überhebliche Kulturjournalist Zöllner (Daniel Brühl) und der erblindete Maler Manuel Kaminski (Jesper Christensen).
- Zöllner will eine Biografie des greisen Künstlers, Schüler von Matisse und Freund von Picasso, schreiben und dringt in dessen Leben ein.
- Um einen besonderen Coup zu landen, will er ein Treffen Kaminskis mit dessen Jugendliebe Therese (Geraldine Chaplin) arrangieren.
- Auf dem Weg zu ihr stellt sich immer mehr die Frage, wer hier eigentlich wen ausnutzt.
- Clever erzählt, manchmal etwas ziellos, mit mäßigem Daniel Brühl und grandiosem Jesper Christensen.
Daniel Kehlmann hat nicht am Drehbuch mitgearbeitet. Gab es Auflagen des Autors?
Becker: Nein, überhaupt nicht. Daniel Kehlmann ist jemand, dem es große Freude bereitet, wenn etwas, das er geschrieben hat, anders adaptiert und interpretiert wird. Natürlich ist ein gewisses Grundvertrauen zum Regisseur immer wichtig. Deshalb habe ich ihm öfters Drehbuchentwürfe zukommen lassen und über Ideen informiert, immer wenn es etwas Vorzeigbares gab. Aber das war niemals eine Verpflichtung gegenüber dem Autor.
In der Hauptrolle ist wie schon in „Good Bye, Lenin!“ Daniel Brühl zu sehen. War Ihnen von Anfang klar, dass Sie wieder mit ihm zusammenarbeiten wollen?
Becker: Auf jeden Fall. Ich wusste immer, dass Daniel die Rolle des Sebastian Zöllner spielen musste. Ich hatte da auch nie einen Plan B, und das wusste er auch. Ich war aber gezwungen, ihn immer wieder zu vertrösten, weil die Filmrechte bei einer österreichischen Produktionsfirma lagen. Als es dann nach langer Zeit wieder die Gelegenheit gab, wusste Daniel, dass er dabei sein musste. Er wollte schließlich nicht, dass ich an der nächsten Brücke hänge (lacht). Überzeugt hat ihn aber vor allem die Geschichte und das Drehbuch.
Sie haben ihm mit „Good Bye, Lenin!“ zu internationalem Erfolg verholfen. Wie hat sich das Verhältnis in den zwölf Jahren verändert?
Becker: Na ja, wir sind ja über die Jahre immer in Kontakt geblieben. Veränderung nimmt man deshalb nicht so extrem wahr. Ich glaube aber, dass er sich mehr verändert hat als ich. Bei „Good Bye, Lenin!“ war er 25, jetzt ist er 37 Jahre. In dem Alter macht man eine größere Entwicklung durch, als ich in meinen 50ern. Damals war er ein junger Hüpfer, heute ist er ein emanzipierter Schauspieler.
Brühl spielt Sebastian Zöllner, einen überheblichen, selbstverliebten Kunstredakteur. Gibt es reale Vorbilder für diese Figur?
Becker: Kehlmann hatte vermutlich einige unliebsame Literaturkritiker im Kopf. Aber auch ich kenne solche Leute aus der Filmbranche. Schludrige Journalisten und Szeneschreiber, die meinen, künstlerische Ideen einfach so wegwischen zu können. Kritiker, denen die große Sorgfalt und Inspiration auf der Seite des Künstlers egal ist und die dem nur großkotzige Oberflächlichkeit entgegensetzen können.
Für die Nebenrolle der Therese Lessing konnten Sie einen weiteren internationalen Star gewinnen, Geraldine Chaplin. War das sehr schwierig?
Becker: Natürlich hat man bei so einem Namen erst mal Manschetten. Aber schon zwei Tage nachdem ich ihr das Drehbuch gesendet hatte, hat sie begeistert zurückgerufen. Ihr hat vor allem gefallen, dass ihr Charakter in der kurzen Szene ganze 17 Wendungen durchmacht. Ich hab das mal nachgezählt und sie hatte recht.
Die Aufteilung des Films in Unterkapitel und der Roadtrip durch Frankreich erinnern an die Nouvelle Vague. Wer sind Ihre Vorbilder als Regisseur?
Becker: An der Filmschule war ich begeistert von Truffaut, nicht so sehr von Godard. Natürlich bin ich auch ein großer Fan von Kubrick und Scorsese. Ich kann aber nicht sagen, wie sehr man diese Einflüsse spürt. Mir ist wichtig, nicht einen von diesen formelhaften Hollywood-Filmen zu machen. Ich sehe die manchmal im Flugzeug ohne Kopfhörer und kann schon vorher sagen, was als nächstes passieren wird.
Bei der Filmförderung gab es Schwierigkeiten, weil den französischen Geldgebern die Hauptfigur Sebastian Zöllner zu unsympathisch war . . .
Becker: Ich halte dieses Diktat, dass man einen positiven Helden braucht, für einen großen Fehler. Das Drehbuch zu dem Film ist ganz klar eines der besten, das ich je gelesen habe. Generell stehe ich dieser unkontroversen „Gefällt mir“-Gesellschaft kritisch gegenüber. Dass man mit dieser Attitüde auch gewaltig daneben liegen kann, zeigt sich ja im Moment gerade bei Facebook, wo sich neben dem ständigen „Like“ jetzt auch ungefiltert der Hass entlädt. Ich glaube nicht, dass das die Zukunft sein kann.