Geburtstagsausstellung in Celle zeigt den Schriftsteller Arno Schmidt in seiner Gegensätzlichkeit

Buchhalterisches Genie

Zitate des Schriftstellers Arno Schmidt sind auf einem Display im Bomann Museum in Celle zu sehen. Noch bis zum 12. Oktober wird dort die Geburtstagsausstellung "Arno Schmidt 100" gezeigt. | © FOTO: DPA

06.05.2014 | 14.04.2020, 13:14

Celle. "Unüberbietbare Sprachverschluderung", "der kühnste Pionier der neuen deutschen Epik" – zwei gegensätzliche Bewertungen von Zeitungskritikern, zu finden in der gerade eröffneten Ausstellung "Arno Schmidt 100" des Bomann-Museums in Celle.

Ein Schriftsteller, der bei Literaturinteressierten entweder überschwängliche Lobeshymnen oder tiefe Verständnislosigkeit auslöst. Ein Mann voller Gegensätze, die in der Ausstellung in Celle – im 20 Kilometer entfernten Bargfeld lebte er Jahrzehnte, in Celle starb er 1979 – anlässlich seines 100. Geburtstages anschaulich präsentiert werden. "Bei so einem Geburtstag steht die Person im Mittelpunkt. Die Ausstellung ist ein Spaziergang durch die Welt des Autors", so Jan Philipp Reemtsma, Vorstand der Arno-Schmidt-Stiftung.

Da wird der politische Schmidt gezeigt und Zitate eingeblendet wie "Im Vergleich mit Katholizismus klingt Kommunismus immer noch wie Freiheit". Schmidt verhöhnt "CDU-Fürsten als blinde Führer von Blinden", kritisiert die aus seiner Sicht nach rechts gerückte SPD – und mokiert sich zugleich über die Unterstützer der 40-Stunden-Woche, er selber habe schließlich eine 100-Stunden-Woche und beklage sich auch nicht: "Arbeiten will keiner, Fernsehen jeder."

Schmidt als Kritiker der Massenkultur kommt zu Wort, wenn er sich in seinen Romanen wie "Abend mit Goldrand" über populäre Schlager wie "Michaela" von Bata Ilic aus dem Jahre 1972 lustig macht ("Du bist alles für mich, denn ich liebe nur Dich: Micae-la-a-a"). Zum Zitat wird auf Knopfdruck die Originalmelodie eingeblendet – wer will, kann sich Schmidt dann in einer erstmals zugänglich gemachten Aufnahme anhören, wie er selber munter "Blow boys blow" trällert.

Soldat-Dichter, Pedant-Hochstapler, Mathematik-Poesie, Buchhalter-Junggenie, Atheismus-Privatmythos – einige der in Vitrinen jeweils mit einem passenden Ausstellungsobjekt präsentierten Gegensatzpaare, die den Satz von Schmidt "Mein Leben ist kein Kontinuum" eindrucks- und oft auch humorvoll illustrieren.

Besonders gelungen ist eine Installation in der Mitte des Ausstellungsraums, wo Besucher wie an einer Juke-Box einen von 100 alphabetisch angeordneten Begriffen auswählen können – von Alkohol über DDR, Gott, küssen, Scheiße, schüchtern bis Zustand.
Dann werden jeweils sechs Schmidt-Zitate zu diesem Stichwort auf einer Rundleinwand nacheinander eingeblendet, die sich nach einiger Zeit in ihre einzelnen Buchstaben auflösen.

In der Ausstellung wird auch an "Seelandschaft mit Pocahontas" von 1953 erinnert. Zwei Ex-Kriegskameraden treffen in dieser Erzählung am Dümmer See auf zwei wesentlich jüngere Frauen. Es entspannt sich ein erotisches Verhältnis – bis die vier wieder auseinandergehen und deutlich wird, dass die Männer durch ihre Erfahrungen als Soldaten nicht in der Lage zu einer Beziehung sind.
Der Ort der Handlung ist kein Zufall. "Arno Schmidt siedelt seine Erzählung inmitten einer Gegend an, in welcher er die lebensbedrohend furchtbarsten Tage seines Lebens zugebracht hat", so Kurator Bernd Rauschenbach. Einer der Einsatzorte an der Front im März und April 1945 war Ibbenbüren. Bis zum 22. Mai ist "Seelandschaft mit Pocahontas" erstmals überhaupt auf der Bühne im Schlosstheater Celle zu sehen.

Ein Stoff, der Schmidt fast ins Gefängnis gebracht hätte – mit der Liebesgeschichte handelte er sich eine Anklage der katholischen Kirche wegen Verbreitung von Pornographie und Gotteslästerung ein, die ihn aus dem katholischen Kastel an der Saar ins liberale Darmstadt fliehen ließ, wo das Verfahren eingestellt wurde.
Eine Literaturschau der besonderen Art ohne lange Texte, sowohl für Einsteiger als auch für Kenner – so der Wunsch der Ausstellungsmacher von der Arno-Schmidt-Stiftung.

Wer dabei auf den Geschmack kommt, kann sich in die ausliegenden Bände von "Leviathan", "Die Umsiedler" oder "Das steinerne Herz" vertiefen. "Die ersten Bücher Schmidts sind sicher leichter zu lesen als die späteren", sagt Kuratorin Susanne Fischer. In einem im Museum gezeigten seltenen Fernsehinterview von 1961 versucht Schmidt, der Furcht der Leser vor seiner besonderen Orthografie so zu begegnen: "Darf ich aber auch betonen, daß es sich zwar um keine Rechtschreibung handelt, aber auch um keine Unrechtschreibung, der Phonetismus ist ja nicht so weit getrieben, daß man die Worte nicht mehr erkennt."

Zu sehen bis zum 12.10. (näheres unter www.bomann-museum.de). Zeitgleich zeigt die Arno-Schmidt-Stiftung in Bargfeld 2.200 von Arno und Alice Schmidt gemachte Dias (www.arno-schmidt-stiftung.de).