Immer mehr Frauen in Deutschland entbinden per Kaiserschnitt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts ist die Rate von 1994 bis 2014 bundesweit von 17,3 auf 35,1 Prozent gestiegen. Auch in NRW ist im vergangenen Jahr jedes dritte Kind (33,1 Prozent) per Kaiserschnitt zur Welt gekommen.
Mit einer Rate von 28,6 Prozent (5.006 Geburten im Jahr 2014) liegt OWL hingegen weit unter dem Bundesdurchschnitt. In vier Kreisen war der Anteil der Kaiserschnitte, in der Fachsprache Sectio genannt, 2014 beziehungsweise 2013 geringer als 2010. In den Kreisen Lippe und Minden-Lübbecke lag der Wert mit 24,8 beziehungsweise 22,3 Prozent sogar im Bereich der niedrigsten deutschlandweit. Sehen Sie die genauen Zahlen in der interaktiven Karte:
Welche Risiken birgt die OP, und warum wünschen sich manche Frauen einen Kaiserschnitt auch dann, wenn es keine medizinischen Gründe dafür gibt? Elena Gunkel hat sich umgehört.
Pro und Kontra
Die wichtigste Voraussetzung für einen Kaiserschnitt ist die Lebensgefahr für die Mutter oder das Kind. Dominique Finas vom Evangelischen Krankenhaus in Bielefeld: „Kinder mit Fehlbildungen können per Kaiserschnitt programmiert und schonend entbunden werden. Deren Versorgung ist so meist besser gewährleistet. Geburtshelfer können nach der Sectio rasch und sicher den Zustand des Kindes einschätzen und eine umfassende Versorgung einleiten.“Doch unter Umständen können auch andere Gründe zu einer Geburt mit Kaiserschnitt führen. Das sind sogenannte weiche Indikatoren wie zum Beispiel die geburtshilfliche Vorgeschichte der Patientin, eine Beckenendlage, ein Geburtsstillstand, eine stark verzögerte Geburt und eine hiermit verbundene Gefahr einer Unterversorgung des Kindes.
„Die Entscheidung für einen Kaiserschnitt ist immer einzelfallabhängig und wird neben den objektiven medizinischen Faktoren durch die persönliche Risikoeinschätzung der Schwangeren beeinflusst“, sagt Sandra Fösken von der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen. „Die ,richtige Risikowahrnehmung gibt es nicht“, betont sie.
Holm Teschner ist Oberarzt im Kreißsaal der Frauenklinik der Katholischen Hospitalvereinigung Weser-Egge (KHWE) im Kreis Höxter. „In unserem Krankenhaus versuchen wir zurzeit, die Anzahl der vermeidbaren Kaiserschnitte möglichst gering zu halten, zum Beispiel indem eine Geburt aus der Beckenendlage als eine vaginale Entbindung ermöglicht wird“, sagt er. Im laufenden Jahr liegt der Anteil an Kaiserschnitten bei der KHWE bei 27 Prozent.
Trend zur Schnittentbindung
Liegt der Kaiserschnitt bei deutschen Frauen im Trend? Das sagen die führenden Mediziner in OWL. „Grundsätzlich könnte man sicherlich sagen, dass der Kaiserschnitt im Trend liegt – auch wenn es unserer Meinung nach nicht der richtige Trend ist“, sagt Christine Schmücker, leitende Oberärztin der Geburtshilfe im St.-Vincenz-Krankenhaus Paderborn. „30 Prozent der in Deutschland durchgeführten Kaiserschnitte sind unseres Wissens nach nicht unbedingt notwendig“, räumt die Ärztin ein.Im Kreis Paderborn gab es im Jahr 2014 mit 943 Schnittgeburten 103 Kaiserschnitte mehr als im Jahr davor. Das waren zwar etwa acht Prozent weniger als im NRW-Durchschnitt, doch für den Kreis bedeutete die Zahl eine Jahressteigerung von rund 1,3 Prozent.
In Bielefeld ist der Anteil der Schnitt-Entbindungen 2014 im Vergleich zu 2010 um 2,4 Prozent gestiegen und lag bei 35,1 Prozent (1.736 Geburten).
Sebastian Wojcinski ist Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Franziskus-Hospital in Bielefeld. Er sagt: „Es handelt sich nicht um einen Trend in dem Sinn, dass es ,schick ist, per Kaiserschnitt zu entbinden. Vielmehr gibt es zunehmend Argumente, die den Kaiserschnitt gegenüber einer vaginalen Geburt für alle Beteiligten attraktiv machen können.“ Zum einen, so Wojcinski, streben die Mütter und die Ärzte bei der Geburt die Vermeidung sämtlicher kalkulierbarer Risiken an. Zum anderen sei das Alter der Frauen, die zum ersten Mal gebären, deutlich angestiegen und die Anzahl der Kinder in der Familie gesunken. „Somit wird sich eine 39-jährige Frau, die ihr erstes und geplant einziges Kind erwartet, vielleicht eher für einen Kaiserschnitt entscheiden. Bei der 22-jährigen Frau, die noch vier weitere Kinder plant, wäre ein Kaiserschnitt unbedingt zu vermeiden.“
Werner Bader ist Chefarzt in der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe im Klinikum Bielefeld. „Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation wären zwar deutlich weniger Kaiserschnitte medizinisch notwendig“, sagt er, „im Trend liegt die Sectio auf Wunsch aber nicht.“
OP auf Wunsch
Da die Acht in China als Glückszahl gilt, mussten dort 2008 viele Krankenhäuser Listen für Schwangere einrichten, die am 8. August per Kaiserschnitt entbinden wollten. In Deutschland wäre das nicht möglich. „Einen Wunschkaiserschnitt kann und darf es in unserem Gesundheits- und Rechtssystem nicht geben“, erklärt Dominique Finas, Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld. In der Realität gibt es jedoch immer wieder Grenzsituationen, in denen die Entscheidung der Ärzte von der individuellen Situation der Frau abhängt.Sebastian Wojcinski, Chefarzt der Frauenklinik im Franziskus-Hospital in Bielefeld: „Der ,Wunschkaiserschnitt bei Fehlen sämtlicher medizinischer Indikationen ist eher selten, kommt aber bei etwa zehn Prozent der Kaiserschnitte vor. Manchmal gibt es dann auch vorgehaltene Gründe, so dass die Unterscheidung zwischen Wunschkaiserschnitt und relativer Indikation bisweilen schwierig ist. Zum Beispiel wenn ein Hüftschaden der Mutter vorliegt – das ist eigentlich kein Grund.“