Paderborn. Wenn ein geradezu verschwindender Prozentteil der Bevölkerung so viel Geld besitzt wie die untere Hälfte der Bevölkerung – dann ist irgendwas gewaltig schief gelaufen. Dann gibt es ein Ungleichgewicht der Machtverteilung und das wirkt sich besonders auf die Politik aus. Also auch auf unser Demokratiesystem. Das war Thema bei einem Vortrag am Montag, zu dem die Attac-Gruppe Paderborn eingeladen hatte.
Bei Harald Schumann, Journalist beim Tagesspiegel, Autor und Gewinner des Deutschen Fernsehpreises für die „Beste Reportage", ging es in der Paderborner Uni um die Macht, die die Superreichen ausüben. Genau genommen sind es laut dem Oxfam-Bericht aus dem letzten Jahr genau 62 Menschen, die gemeinsam fast zwei Billionen Dollar auf der hohen Kante liegen haben.
„Das ist das größte politische Problem unserer Zeit"
Für Harald Schumann sind diese Summe – nämlich 1.760.000.000.000 Doller Finanzvermögen – und das daraus resultierende Ungleichgewicht „das größte politische Problem unserer Zeit". Allerdings gehe es ihm dabei nicht um die Villen, Maseratis, Kaviar oder Privatjets der Superreichen, „das ist im schlimmsten Fall nur geschmacklos", sagt der Journalist. Stattdessen sei das Problem die ungeheure Macht um jeden Preis, erklärt er vor den etwa 180 Zuschauern. Es herrsche eine Manipulation der Gesetzgebung, sagt Schumann.
„Meine These ist – aber die kann ich nicht beweisen: Die Politiker haben kapituliert und wissen, dass die großen Unternehmen, Lobbyisten und Konzerne die öffentliche Meinung bilden", erläutert Schumann bei seinem Vortrag in der Paderborner Uni. Politiker sähen sich selbst als Förderer der Wirtschaft, als bloße Dienstleister, beschreibt der 60-Jährige. Und diese Vorstellung durchdringe das komplette soziale Gefüge.
Er kritisiert zudem die Verstrickungen zwischen manchen großen Medien und Konzernen. Er erklärt allerdings auch, welche Zusammenhänge besonders für Journalisten gelten: „Viele können es sich nicht leisten, kritisch zu schreiben – dann werden sie nicht mehr zu den wichtigen Treffen eingeladen. Journalisten sind von ihren Quellen abhängig. Dass ich schreiben kann, was ich will, war einfach Glück."
Mehr Eigeninitiative und politisches Bewusstsein
Was Harald Schumann fordert – auch vom Paderborner Publikum – sind Eigeninitiative und politische Mündigkeit: „Wenn die Verteidigung von Demokratie funktionieren soll, müssen wir alle besser zusammenarbeiten." Er besteht auf mehr politisches Engagement, vor allem auch in den Parteien. Denn seiner Meinung nach könne man nur etwas ändern, wenn man selbst daran arbeite: „Wenn nur noch Karrieristen und Opportunisten in die Parteien gehen, müssen wir uns nicht wundern, wenn genau diese regieren."
Es gebe gute Politiker, die nicht korrupt seien, auch wenn bei der breiten Bevölkerung dieser Eindruck schon lange fest sitze. Im Publikum gehen die Meinungen zu diesem Thema auseinander. Man müsse die Parteien auf der Straße vor sich hertreiben und demaskieren, wirft ein Besucher ein. Eine andere Frau im Publikum äußert die Angst, innerhalb einer Partei könne man seine Werte sicherlich nicht auf lange Sicht beibehalten.
„Demokratie darf nicht weiter pervertiert werden"
Am Ende der Diskussion kommt auch die Frage nach mehr direkter Demokratie aus dem Publikum. „Das muss man üben. Und solange die meisten Leute ihre politischen Möglichkeiten, die es ja sehr wohl gibt, ignorieren, haben wir direkte Demokratie noch nicht genug geübt", sagt Schumann zu diesem Thema. Er meint Bürgerbegehren , Briefe und Beschwerden an lokale Politiker, die eigene Meinung überhaupt kundzutun: Mehr alltagsdemokratische Kultur.
Harald Schumann schlägt das Konzept eines gemeinsamen europäischen Portals vor, in dem sich Organisationen austauschen können, so dass mehr Transparenz entsteht: „Ich will wissen, wer wann wo an welchem Gesetz mitgearbeitet hat." Daran könnten sich Greenpeace, Oxfam, Attac und alle möglichen anderen Organisationen beteiligen und ihr Wissen zur Verfügung stellen. „Von wo nach wo fließt das Geld?", fragt Schumann.