Millionenbetrug: Ehemaliger Paderborner Vorzeige-Unternehmer soll ins Gefängnis

Paderborn. Nach über zwei Jahren hat die Vorsitzende Richterin Anne Zacharias am Freitagmorgen vor der 8. Großen Strafkammer um 8.33 Uhr die Beweisaufnahme in einem Strafprozess geschlossen, der zu den längsten des Paderborner Landgerichts gehören dürfte. Zuvor hat sie einem letzten Begehren der Verteidiger des Edgar K., der zahlreiche Anleger betrogen haben soll, eine erneute Absage erteilt. Für Oberstaatsanwältin Sonja Lißek und ihren Kollegen Ernestos Tschaschnig von der Bielefelder Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität ist das der Startschuss für ihre Schlussvorträge. In anderthalb Stunden lässt Lißek das Geschäftsgebaren des Edgar K. Revue passieren, der mit einem selbst entwickelten Anlageprodukt Sicherheit und Gewinne versprach. Doch zu Beginn ruft die Anklägerin die Frauen und Männer in Erinnerung, die nicht selten große Teile ihrer Altersversorgung verloren. Diese &bdquo;menschlichen Schicksale“ seien zuletzt &bdquo;auf der Strecke geblieben“, sagt Sonja Lißek - so wie der Arbeiter, der seine Lebensversicherung in das von Edgar K. entwickelte Anlageprodukt &bdquo;Safeguard“ steckte und so das Geld verlor, mit dem er das Grundstück hatte kaufen wollen, auf dem er bereits sein Häuschen gebaut hatte, oder die Ärztin, die mit 72 Jahren noch praktizieren muss, weil die erworbene Anlage eben nicht sicher und lukrativ war. Sicherlich hätten einige Anleger den Verlust überwunden, andere aber &bdquo;stehen im Alter vor dem Nichts“. Staatsanwältin erhebt schwere Vorwürfe gegen Edgar K. Dann geht die Anklägerin mit Edgar K. hart ins Gericht. &bdquo;Mehr Schein als Sein“ habe der gelernte Tischler, der vor seiner Selbstständigkeit bei dem Finanzdienstleister AWD gearbeitet hatte, mit der Schaffung diverser Unternehmen auf die Beine gestellt. Lißek spricht von &bdquo;viel Konfetti“, denn das Ziel des Paderborners sei es gewesen &bdquo;möglichst groß und potent zu erscheinen“. Deshalb habe Edgar K. schon früh eine Aktiengesellschaft gegründet - Hauptanteilseigner war er selbst - aber auch weitere kleinere Gesellschaften. &bdquo;Von diesen war keine erfolgreich“, weiß die Anklägerin. Um die einzelnen Betriebe zu einem Ganzen verschmelzen zu können, habe ein Wirtschaftsexperte den &bdquo;fabelhaften Unternehmenswert“ in Höhe von 2,4 Millionen Euro ermittelt - allein auf der Basis erwarteter Umsätzen. &bdquo;So sah es auf dem Papier gut aus“, sagt Staatsanwältin Lißek und führt dann vor, wie zunächst mithilfe des Verkaufs von Genussrechten Geld eingesammelt wurde. Ende in Sicht: Paderborner Mammutprozess um Anlegerbetrug geht in den Schlussspurt &bdquo;Safeguard“ soll als Bank gedient haben Doch anders als versprochen seien damit keine Immobilien, Edelmetalle, Versicherungsbestände oder gar Windkraftanlagen gekauft worden. &bdquo;Die ’Safeguard’ diente als Bank“, so Lißek. Alles, was da an Geld eingesammelt wurde, floss in das &bdquo;Wirtschaftsforum“, denn dort waren Löhne zu zahlen, Forderungen von Sozialkassen, Steuerberatern, Lieferanten, Handwerkern und vielen anderen zu begleichen. 7,2 Millionen Euro seien zwischen Oktober 2013 bis März 2017 eingeworben, aber nur rund 720.000 Euro investiert worden - in die Errichtung des Firmensitzes an der Detmolder Straße. &bdquo;Alle anderen Gelder wurden verbrannt“, sagt die Oberstaatsanwältin. Schließlich war das &bdquo;Wirtschaftsforum“ bereits seit Ende 2012 zahlungsunfähig, die &bdquo;Safeguard“ traf dieses Schicksal 2016, wie die Gutachterin Sandra Comtesse festgestellt hat. All das habe der Firmenchef Edgar K. gewusst. Auf die Erstellung von Jahresbilanzen hatte er schon seit 2012 trotz gesetzlicher Verpflichtung verzichtet, nicht aber auf eine finanzielle Unterstützung des SC Paderborn. Doch erst Anfang 2017 wurde zunächst für das &bdquo;Wirtschaftsforum“ Insolvenz angemeldet, gut zehn Monate später für die &bdquo;Safeguard“. Schaden soll bei über 2 Millionen Euro liegen So groß die Anklägerin, die den abzuurteilenden Schaden mit 2,3 Millionen Euro beziffert, das Verschulden des Edgar K. einschätzt, für seine Mitarbeiter, die ausschwärmten, um Anlagen und Versicherungen zu vertreiben, bricht sie eine Lanze. Diese hätten ihrem Chef geglaubt, mit &bdquo;Safeguard“ ein &bdquo;sehr, sehr sicheres Produkt“ im Angebot zu haben, bei dem ein Totalverlust höchstens ein theoretisches Risiko sei. Viele von ihnen hätten selbst investiert oder Freunden und Verwandten dazu geraten. Fünf Jahre und drei Monate Haft fordert Oberstaatsanwältin Sonja Lißek am Ende ihres Plädoyers für Edgar K. - nicht ohne die Feststellung, dass der Angeklagte keinerlei Reue gezeigt habe. Nach einer kurzen Pause ergreift ihr Kollege Ernestos Tschaschnig das Wort, um seine Strafanträge für die drei weiteren Angeklagten zu stellen. Die fallen deutlich milder aus, denn Bernd J. und Richard B. wird lediglich Beihilfe zum Bankrott und zur Insolvenzverschleppung vorgeworfen. Die beiden hatten seit 2006 in der Unternehmung des Edgar K. im Aufsichtsrat gesessen - aber dort ihre Verpflichtungen nicht wahrgenommen, wie Tschaschnig betont. Sie mahnten ab 2012 weder die Erstellung von Jahresabschlüssen an noch später - bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit - die Beantragung der Insolvenz. Zur Vorgeschichte: Verteidiger von Edgar K. werfen Paderborner Gericht unfaires Verfahren vor Ankläger: &bdquo;Es gab überhaupt keine Kontrolle“ Gerade in Krisenzeiten hätten die Mitglieder eines Aufsichtsrates die Verpflichtung, besonders genau hinzuschauen und die Geschäftsführung zu kontrollieren. Das aber sei nicht geschehen. &bdquo;Es gab überhaupt keine Kontrolle“, sagt Tschaschnig über die beiden Angeklagten, die bei der Unternehmensumstrukturierung in einem Brief deutliche Ansprüche in Sachen Honorierung und Einfluss gefordert hatten. Richard B. und Bernd J. hätten Edgar K. dabei geholfen, &bdquo;sein potemkinsches Dorf aus Luftschlössern und leeren Versprechungen möglichst lange aufrechtzuerhalten“. Doch weil beide bislang niemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, regt der Ankläger jeweils eine Bewährungsstrafe an, zwölf Monate für Bernd J., weil er Vorsitzender des Aufsichtsrates war, für Richard B. zwei Monate weniger. Beide sollen aber 12.000 bzw. 10.000 Euro als Auflage zahlen - an eine soziale Einrichtung, die sich um Senioren kümmert, die mit Altersarmut zu kämpfen haben. Ebenfalls an eine solche Einrichtung soll nach Willen des Anklägers Philipp P. 15.000 Euro zahlen. Denn dieser hat nach Auffassung des Staatsanwaltes noch 2015 und 2016 das Anlageprodukt &bdquo;Safeguard“ verkauft, obschon er wusste, dass das Unternehmensgefüge des Edgar K. am Ende war, und ist damit für einen Schaden von über 350.000 Euro verantwortlich. Zu intensiv und freundschaftlich sei das Verhältnis von Philipp P. zu seinem Chef gewesen, als dass er über den Zustand des Unternehmens in Unkenntnis gewesen sein könnte, sagt Tschaschnig und zitiert aus vielen E-Mails über Firmeninterna, nicht selten in flapsigen Ton gehalten und oft adressiert an &bdquo;Eddie“. Dieser Angeklagte habe eine &bdquo;zentrale, herausgehobene Position“ innegehabt. &bdquo;Es ist völlig fernliegend, dass Philipp P. ein völlig ahnungsloses Werkzeug des Edgar K.“ war, bilanziert der Ankläger und fordert eine zweijährige Freiheitsstrafe, die er gleichfalls zur Bewährung ausgesetzt wissen will. Denn auch dieser Angeklagte ist bislang strafrechtlich unbescholten. Prozess um Anlegerbetrug: Ein Angeklagter bricht sein Schweigen Ein Verteidiger fordert für seinen Mandanten Freispruch Dass die Verteidiger eine ganz andere Richtung einschlagen werden, stellt Detlev Binder unter Beweis, der an diesem Tag als einziger Anwalt plädiert. Er fordert für Richard B. einen Freispruch, denn dieser sei im Tatzeitraum gar nicht mehr Mitglied des Aufsichtsrates gewesen. Laut Aktiengesetz laufe die Bestellung nach vier Jahren automatisch aus und sein Mandant sei niemals erneut gewählt worden. Ob das Gericht diese Auffassung teilt, wird sich erst Ende Juni zeigen. Denn die kommenden Verhandlungstage sind weiteren Plädoyers vorbehalten. Weiter geht es am Freitag, 6. Juni. Immer informiert bleiben: Hier gelangen Sie direkt zum Whatsapp-Kanal der NW Paderborn.

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