„Trump will Europa erniedrigen“: Luxemburgs Ex-Außenminister im Kreis Paderborn

Herr Asselborn, in diesen Wochen wird in Deutschland des Endes des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren gedacht. Währenddessen herrscht jedoch Krieg in der Ukraine. Wie groß ist Ihre Sorge, dass sich der Konflikt mit Russland in Europa ausweitet? Jean Asselborn: Wir leben als Europäer derzeit in einer seltsamen Welt. Das habe ich in meinen 20 Jahren als Außenminister so nicht gekannt. Das Russland Putins hat das internationale Recht mit Füßen getreten - und das als Nachfolgestaat der Sowjetunion, die einst mitgeholfen hat, die Charta der Vereinten Nationen einzuführen. Und seit dem 20. Januar erleben wir auch noch ein Trump-Amerika, das die Demokratie genauso hasst, wie Putin sie hasst. Beides kann einem große Angst machen. Millionen Menschen in der Welt setzen jetzt auf Europa, damit wir dagegenhalten. Sicherheitsdienste warnen davor, Russland bereite sich auf einen großen konventionellen Krieg in Europa vor. Teilen Sie diese Einschätzung? Ich operiere nicht mit Ängsten. Ich höre auch von solchen Einschätzungen, dass Putin weitermacht, wenn er erstmal in der Ukraine erfolgreich ist. Trotzdem darf man die Menschen in Europa jetzt nicht verängstigen. Wir müssen politisch dagegenhalten und militärisch vorbereitet sein. Klar ist: Europa muss sein Schicksal selbst stärker in die Hand nehmen. Und wir müssen uns immer bewusst machen, dass Putin nicht nur Krieg gegen die Ukraine führt, sondern gegen die Demokratie und unsere europäische Lebensweise mit all ihren Werten. In den Versuchen, den Ukrainekrieg zu einem Ende zu führen, spielt Europa aber öffentlich nur eine untergeordnete Rolle. Warum ist das so? Weil Russen und Amerikanern das genauso wollen. Trump und seine Clique in Washington wollen Europa erniedrigen. Die Gespräche in Saudi-Arabien zeigen: Die Russen wollen nur mit den Amerikanern verhandeln. Brüssel ist für Putin überhaupt nicht relevant. Für einen dauerhaften Frieden in der Ukraine wird Europa aber gebraucht. Hat sich Europa überrumpeln lassen oder ist die EU nicht handlungsschnell genug? Die Europäische Union ist nach Verträgen gestaltet, an die wir uns halten. Jedes Land hat ein Veto-Recht. Jeder sieht, dass es leider keine Einstimmigkeit in der Außenpolitik gibt. Aber ich bin da sehr klar: Wir können das Schicksal Europas nicht in die Hände von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán oder des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico legen. Wenn es demnächst hart auf hart kommt - und wir nähern uns dieser Lage immer mehr - dann muss Europa wie ein einziges Land funktionieren. Wenn es um Krieg und Frieden geht, dann müssen solche Spielereien von Orbán dem untergeordnet werden. Er will Europa seit 2010 zerstören. Wenn es um die Sicherheit von 500 Millionen Europäern geht, dann dürfen Orbán und Fico das nicht blockieren können. In Deutschland nimmt die Debatte um Waffen, Wehrpflicht und Sicherheitspolitik immer breiteren Raum ein. Wenn es nur noch ums Militärische geht, hat die Diplomatie dann schon längst versagt? Jeder, der in Deutschland vor 20 Jahren mehr Geld für Waffen gefordert hätte, wäre für verrückt erklärt worden. Nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch der Sowjetunion ging es in der Außenpolitik darum, die Armut in der Welt zu bekämpfen. Es gab zwar Kriege auf dem Balkan, aber niemand konnte sich ausmalen, dass ein Land, das im UN-Sicherheitsrat sitzt, der Ukraine die Daseinsberechtigung abspricht, und behauptet, die Spitzenleute dort seien Nazis. Das konnte man sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen. Noch 2005 war Russland ein strategischer Partner der EU. Lesen Sie auch: Großherzogtum Luxemburg - Ein Land mit Geld und Geschichte Welche Fehler hat Europa im Umgang mit Russland danach gemacht? Wir haben zuviel Vertrauen in Putin gesetzt und ihm die Kriege in Tschetschenien, Georgien und die Annexion der Krim durchgehen lassen. Es sind Fehler, die ich mir auch selbst ankreide. Putin hat dieses Vertrauen missbraucht. Ich habe aber auch noch Rufe aus der deutschen Wirtschaft im Ohr, als es immer wieder hieß, wie wichtig ein gutes Verhältnis zu Russland ist. Heutige Kritik am Bau von Nordstream 2 hat auch etwas von Heuchelei. Das günstige russische Gas hat Deutschland über Jahre geholfen und davon hat auch Europa profitiert, denn Deutschland war die Wirtschaftslokomotive. Russlands Außenminister Sergej Lawrow war einst zu Gast bei ihrer privaten Geburtstagsfeier in Luxemburg. Sie haben ihn und andere russische Politiker über Jahre erlebt. Können sie erklären, wie die Spitze dieses Staates tickt? Ich habe mit Lawrow zuletzt im Dezember 2021 gesprochen bei einem OSZE-Meeting in Schweden. Er wollte, dass ich nach Moskau komme. Für den 14. Februar 2022 hatte ich schon einen Termin. Dann spitzte sich die Lage in der Ukraine aber immer mehr zu und ich bin nicht hingefahren. Kürzlich habe ich noch meinen damaligen italienischen Amtskollegen Luigi Di Maio getroffen. Er war noch im Februar 2022 in Moskau. Da hat Lawrow ihm gesagt, dass Russland niemals die Ukraine angreift. Bei Lawrow sieht es wie nach einer Gehirnwäsche aus. Im russischen Regime muss scheinbar jeder das sagen und denken, was Putin sagt und denkt. Er ist der einzige, der entscheidet. Würde ich Lawrow heute treffen, wüsste ich auf rein menschlicher Ebene nicht, was ich ihm sagen sollte. Im Raum bleibt die Frage, was nötig ist, damit der Krieg in der Ukraine zu Ende geht. Was ist Ihre Antwort? Als Europäer müssen wir auf die Zähne beißen und den Ukrainern helfen, soviel es geht, damit es zu einem Waffenstillstand kommt. Lassen wir die Militärhilfe für die Ukraine fallen, dann gibt es keine Ukraine mehr. Ob Putin einen Waffenstillstand will, davon bin ich nicht überzeugt. Sollte es aber soweit kommen, ist es bis zum Frieden trotzdem noch ein langer Weg. Einen Friedensvertrag wird Putin nie unterschreiben. Dann wird Europa eine wichtige Rolle spielen. Sind Sie optimistisch? Ein wenig Optimismus ziehe ich aus Trumps Narzissmus. Er hat so laut herausposaunt, den Krieg zu beenden, dass er in der Frage auch abliefern wollen wird. Ich fürchte aber, dass Putin gescheiter ist als Trump. Der US-Präsident und seine Getreuen halten Europa für Schmarotzer, die auf Kosten Amerikas Jahrzehnte in Sicherheit gelebt haben. Haben diese Stimmen Recht? Mir ist egal, wie sie uns sehen. Aber wie Trump mit der Ukraine umgeht, etwa bei der Frage der Rohstoffe, das ist unmöglich. Es ist mafiös, wie das Trump-System versucht, die Ukraine auszuquetschen. Das stört mich enorm. Trump hat sein Handwerk als Immobilienhändler gelernt, aber die Politik funktioniert so nicht. So geht man mit einem Land im Krieg nicht um. Welche Schlüsse ziehen sie aus diesen Tönen aus Washington? Sie machen klar: Den Westen gibt es nicht mehr. Das Trump-Amerika hat die Seiten gewechselt. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass die USA im UN-Sicherheitsrat mit Russland, Nicaragua, Nordkorea und dem Iran gegen Europa und ein Kriegsland wie die Ukraine stimmen. Kann sich Europa denn schnell genug unabhängig machen von den USA? Erst hat Putin es fertig gebracht, die NATO zu erweitern, weil sein Angriff auf die Ukraine zur Aufnahme von Schweden und Finnland geführt hat. Nun bringt Trump es fertig, Europa zu erweitern. Europa arbeitet jetzt wieder eng mit den Briten zusammen, auch mit Norwegen. Seit Trump ist Europa enger zusammengerückt. Alle Länder müssen sich nun aber auch finanziell einbringen, um unsere Verteidigung sicherzustellen. Auf absehbare Zeit ist die Militärtechnologie aus den USA jedoch der europäischen überlegen. Wir sind da noch auf sie angewiesen, müssen aber eigene Wege gehen. Auch interessant: Hövelhofer hat seinen Traumjob in Luxemburg gefunden Was bedeutet diese US-Regierung für unser Handeln in Europa? Damit müssen wir jetzt umgehen und auf die eigene Stärke setzen. Ich hoffe, dass die Amerikaner bald begreifen, dass wir keine Banausen sind. Trump hat ja sogar gesagt, dass die EU gegründet wurde, um Amerika zu nerven. Sowas kann nur jemand sagen, der nie ein Buch gelesen oder sich nie mit dem 20. Jahrhundert in Europa beschäftigt hat. Die EU wurde gegründet, damit Deutsche und Franzosen aufhören, sich zu bekriegen. Die Amerikaner waren im 20. Jahrhundert zweimal innerhalb von 30 Jahren mit ihren Jungs in Europa. Sie haben im Ersten Weltkrieg 100.000 Mann verloren, im Zweiten Weltkrieg 400.000. Wir haben Europa gebaut, damit wir keine Friedhöfe für amerikanische Soldaten mehr brauchen. Sind Trump und seine Gefolgsleute eine Bedrohung für den Weltfrieden? Sie sind mehr als das. Wenn man sieht, dass sie mehr Vertrauen in die Diktatoren dieser Welt haben, als in ihre Verbündeten, dann ist das verheerend. Ein Beispiel: Putin gefällt der US-Verhandlungsführer Kellogg in den Ukraine-Gesprächen nicht, prompt tauscht Trump ihn aus. Sowas muss schlecht ausgehen. Zum Thema: Die Wewelsburg im Kreis Paderborn feiert 100 Museumsjahre Die nächste deutsche Bundesregierung wird aller Voraussicht nach von der CDU angeführt. Was erwarten Sie als Sozialdemokrat und als Europäer von der Regierung Friedrich Merz? Ich bin nur ein kleiner Luxemburger. Ich erwarte, dass aus Deutschland niemand mehr das Holocaustmahnmal als &bdquo;Schandfleck der Geschichte“ bezeichnet oder den Holocaust als &bdquo;Vogelschiss“. Diese Sätze aus der AfD tun Deutschland nicht gut und sie tun Europa nicht gut. Aus Europa höre ich viel Zustimmung zur Reform der Schuldenbremse. Ich halte die Infrastrukturausgaben in Deutschland für richtig und von den verstärkten deutschen Ausgaben für Verteidigung kann Europa nur profitieren. Das sind richtige Schritte, die Deutschland zu mehr Kraft in Europa verhelfen. .responsive23-2Ycs59bE3qxIaHwR-map-gedenkstaette-niederhagen { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-2Ycs59bE3qxIaHwR-map-gedenkstaette-niederhagen { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-2Ycs59bE3qxIaHwR-map-gedenkstaette-niederhagen { padding-top: 142.86%; } } Wo knirscht es Ihrer Meinung nach in der EU? Sorgen bereiten mir derzeit zwei Länder. Italiens Giorgia Meloni muss zeigen, auf welcher Seite sie steht und in Frankreich gibt es keine stabile Mehrheit im Parlament. Ohne stabile Regierung in Paris ist Europa nicht zu führen. Ich möchte gar nicht daran denken, falls in Frankreich jemand mit Hass auf Deutschland an die Macht kommt. Lesen Sie auch: Zweiter Weltkrieg: Der Weg ins Unheil des Stalag führt über Hövelhof Am Mittwoch, 2. April, sprechen Sie zum Gedenken an die Befreiung des KZ Niederhagen in Wewelsburg vor 80 Jahren. Kennen Sie die Burg und ihre Geschichte? Vor der Einladung des Vereins kannte ich die Burg nicht. Ich habe aber mit meinem Freund Frank-Walter Steinmeier darüber gesprochen, der sie als Mann aus der Region natürlich kennt. Als ich die Anfrage aus Wewelsburg erhielt, habe ich spontan ja gesagt. Das Gedenken ist wichtig, damit die Gräuel der Nazi-Herrschaft und vor allem die Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Der 2. April muss ein wichtiger Tag in Wewelsburg bleiben. Diejenigen, die damals gestorben sind, haben ihr Leben grausamst verloren, im Auftrag einer Ideologie, die für immer verbannt bleiben muss.

Meistgelesen