Spätaussiedler aus Paderborn: „Ich bin sehr stolz auf die Stadt“

Paderborn. Es ist fast eine kleine Liebeserklärung, die Alexander Wittmer (54) seiner Heimatstadt macht. &bdquo;Ich bin auf Paderborn sehr stolz“, sagt der Sozialarbeiter und stellvertretende Vorsitzende des Integrationsrates in Paderborn. Seit 1997 lebt er in dieser Stadt. Damit meint das Vorstandsmitglied der Deutsch-Russischen Gesellschaft (DRG) Paderborn vor allem Bürger, die sich für die Demokratie und ihre Werte einsetzen – und gegen rechtsextremistische Tendenzen wehren. Ein Grund für diese Haltung sind auch die Erfahrungen Wittmers in seinem Geburtsland Kasachstan, damals unter sowjetischer Herrschaft. Deshalb hebt er die Bedeutung von demokratischen Werten auch mit Blick auf die Europawahl am 9. Juni hervor. Dankbar ist er beispielsweise für freie Wahlen. Dass sich Wittmer an EU-Wahlen aber einmal in Paderborn beteiligen würde, war 1985 bei seinem ersten Besuch in der Stadt noch nicht absehbar. Seine Großeltern mit deutscher Abstammung lebten bereits seit 1981 hier. Sie gehörten zu den ersten Aussiedlern in der Stadt. Letzter Anstoß zur Aussiedlung war ein Autounfall Im Gespräch mit der &bdquo;NW“ lenkt Wittmer schnell den Blick auf einen Moment: den Autounfall 1995 in Almaty, seine Geburtsstadt und die größte Metropole Kasachstans. Dieses Ereignis war der letzte Anstoß für den Bühnenschauspieler, die Sowjetunion mit der Familie zu verlassen. Kein einfacher Schritt, denn bis dahin schickte sich Wittmer an, Karriere zu machen. Er war Schauspieler am Staatlichen Akademischen Russischen Natalia-Saz-Theater in Almaty und zuvor auch in der sowjetischen Hauptstadt Moskau am dortigen Illusionstheater zu sehen. Der Unfall mit Blechschaden ereignete sich an einer Kreuzung, verursacht von Wittmer. Und das habe ein Offizier des sowjetischen Geheimdienstes KGB, Vater eines Beteiligten, ausnutzen wollen und die Überschreibung einer Wohnung der Familie Wittmer erpresst. In einem späteren Gerichtsverfahren habe Wittmer dann miterlebt, wie der KGB-Offizier unverhohlen eine Richterin bestach. Keine Perspektive in Kasachstan gesehen Das und andere Erfahrungen hätten bei Wittmer zu einer Erkenntnis geführt. &bdquo;Es gibt keine Perspektive in Kasachstan beziehungsweise in der Sowjetunion“, sagt er. Und so kam Wittmer mit seiner damaligen Ehefrau Tatjana und der damals dreijährigen Tochter Anastasia Ende 1996 nach Deutschland. Über die Aufnahmestelle in Unna-Massen. Die Schauspielkarriere schien mit der Übersiedlung nach Deutschland und der Herausforderung, auch eine neue Sprache erlernen zu müssen, nach hinten zu rücken. Doch für Wittmer war klar: &bdquo;Wir mussten alles für die Kinder geben, damit sie eine Zukunft haben.“ Zudem war ihm wichtig, mit jenen Menschen, &bdquo;die ich liebe zusammen zu leben“, auch in Freiheit. Lesen Sie auch: &bdquo;Wir sind Paderborn“: Kosta Iakovidis ist als Hotelier und Kneipier bekannt &bdquo;Wir haben uns sehr schell umgestellt“, sagt Wittmer. So war er zunächst im Sprachkurs, um sich besser integrieren zu können. Und für ihn gab es trotz anderer beruflicher Wege schon da ein Ziel: Die Schauspielerei nicht aus den Augen zu verlieren. Eine erste Anfrage bei den Westfälischen Kammerspielen sei noch zögerlich beantwortet worden – wegen fehlender Sprachkenntnisse. Schauspieler ist als Sozialarbeiter im Einsatz In den kommenden Jahren folgten für den Schauspieler mit Diplom Einsätze als Sozialarbeiter. In vielen kreativen Projekten verschiedener Wohlfahrtsverbände, darunter als Mitarbeiter im &bdquo;Netzwerk Aussiedler – Wir für uns“ im AWO-Kreisverband Paderborn, war er tätig, auch als Multiplikator. Seit 2021 ist Wittmer sozialpädagogische Fachkraft, Jobcoach und Ausbildungsbegleiter in den Kolping-Bildungszentren OWL in Paderborn. Und auch in seiner beruflichen Tätigkeit hat Wittmer sich für Aussiedler, Spätaussiedler und generell für Migranten eingesetzt. Zudem bildete sich Wittmer zum Aufnahmeleiter für Film- und Fernsehproduktionen weiter und war bundesweit tätig. An Spielfilmproduktionen von Pro7 und ZDF war er beteiligt. Das Studium bricht er zugunsten der Familie ab Ein 2016 begonnenes Masterstudium Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule musste er indes ohne Abschluss beenden. &bdquo;Ich musste weiterarbeiten und für meine Familie sorgen“, sagt Wittmer. Ein persönlicher Schicksalsschlag und die Pflege seiner Mutter führten zudem dazu, dass Wittmer berufliche Auszeiten nehmen musste. Darüber hinaus ist Wittmer seit 2010 Mitglied im Integrationsrat, hat sich im Kreistag Paderborn von 2014 bis 2020 engagiert. Als Schöffe ist er seit mehreren Jahren am Jugendgericht. Wittmer: &bdquo;Gerechtigkeit ist mir sehr wichtig, besonders in sozialen Belangen.“ 2003 war er zudem Gründungsmitglied der DRG. Keine &bdquo;pauschalen Verurteilungen“ Zur Frage, ob es unter Aussiedlern oder Spätaussiedlern auch manche gibt, die den Weg in die Gesellschaft nicht gefunden haben, warnt Wittmer vor &bdquo;pauschalen Verurteilungen“. Andererseits verweist er auch auf eine Haltung zu Deutschland und auf die Frage, &bdquo;ob ich bereit bin, mich zu integrieren“. Oder ob die Frage gilt: &bdquo;Bin ich mental noch in Russland?“ Dennoch, auch Aussiedler und Spätaussiedler hätten vor großen Herausforderungen gestanden: In der Sowjetunion seien sie &bdquo;die Deutschen“ gewesen“, in Deutschland hätten sich manche mitunter fremd gefühlt. Wichtig ist Wittmer als DRG-Mitglied auf die friedliche Grundhaltung des Vereins hinzuweisen, besonders in Hinblick auf den Angriffskriegs Russlands. &bdquo;Putin ist ein Verbrecher“, sagt Wittmer. Stolz ist er besonders auf seine Familie. Tochter Anastasia (30) ist Mutter, hat einen Master in Erziehungswissenschaft und ist Unternehmerin. Sohn Dennis (23) absolviert derzeit ein Masterstudium in Sozialer Arbeit. Auch mit der geschiedenen Ehefrau Tatjana gebe es den Zusammenhalt in der Familie. Lesen Sie weitere Teile der NW-Serie &bdquo;Wir sind Paderborn“: 47 Jahre bei Stute: Paderborner berichtet stolz von der Arbeit der Oma Kosta Iakovidis ist als Hotelier und Kneipier bekannt Die Stadt kennt Eduardo Fernández-Terrones als Granada- und Sevilla-Wirt Paderborner Islam-Professorin: &bdquo;Die deutsche Sprache habe ich im Ausland vermisst“ Gastronomin Alicia Chávez-Paus: &bdquo;Sprache ist das wichtigste Werkzeug“

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