Paderbornerinnen in Altersarmut: „Als Frauen haben wir eigentlich zwei Jobs“

Paderborn. Was bedeutet es, arm zu sein? Annemarie D. (alle Namen geändert), weiß das genau. Von etwas mehr als 1.000 Euro plus Wohngeld lebt die Rentnerin im Monat. Sie geht zur Tafel und in die Kleiderkammer. &bdquo;Ich bin nicht neidisch auf andere, ich will nur nicht immer sagen müssen: Das kann ich mir nicht leisten“, sagt die 77-Jährige. Dass sie ihren Enkeln und Urenkeln nicht das bieten könne, was andere Omas bieten, &bdquo;das schmerzt am meisten“, sagt sie und muss schlucken: &bdquo;Da kriege ich direkt einen Kloß im Hals.“ Mehr als sieben Millionen Rentner in Deutschland müssen laut Statistischem Bundesamt mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 1.250 Euro als Rente zurechtkommen. Frauen bekommen dabei rund ein Drittel weniger Alterseinkünfte als Männer und leben besonders häufig in Altersarmut. Nach Zahlen von IT NRW war 2022 jede fünfte Frau von relativer Einkommensarmut betroffen (19,6 Prozent), bei den Männern dagegen nicht einmal jeder sechste (14,5 Prozent). Frauen bekommen rund ein Drittel weniger Alterseinkünfte als Männer. Warum ist das so? Wesentliche Ursache ist die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern – der &bdquo;Gender Pay Gap“. Laut Entgeltstatistik 2022 der Agentur für Arbeit Paderborn betrug der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen im Kreis Paderborn zuletzt 12,6 Prozent, unter anderem weil Frauen häufiger Teilzeit und in schlechter bezahlten Branchen arbeiten. Das hat nachteilige Folgen für die Rente. Das Konzept scheitert, wenn die Ehe zerbricht - wie bei Annemarie D. Durch das geringere Einkommen können Frauen im Durchschnitt zudem weniger sparen oder in private Altersvorsorge investieren. In früheren Jahren war die Lohnlücke sogar noch größer. Auch weil in der heutigen Rentnergeneration das traditionelle Familienmodell – der Mann arbeitet, die Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt – die Regel war. Dieses Alleinverdienermodell allerdings geht oft nur solange gut, bis die Ehe zerbricht. Von Altersarmut in besonderer Weise betroffen sind daher alleinstehende Frauen. Annemarie D. ließ sich von ihrem Mann scheiden. &bdquo;Keinen Cent habe ich von ihm bekommen“, sagt sie. Auch Christine M. lebt allein. Als sie 73 Jahre alt war, fasste sie ihren Mut zusammen und verließ &bdquo;in einer Nach- und Nebelaktion“ ihren tobsüchtigen Mann nach jahrzehntelangen Schikanen. Sie ging zunächst ins Frauenhaus, jetzt wohnt sie in einer kleinen Wohnung des Spar- und Bauvereins in Paderborn. &bdquo;Eine Woche lang war es schwer, danach habe ich es nie wieder bereut, ihn zu verlassen. Ich wünschte, ich wäre eher gegangen“, sagt die heute 82-Jährige. Auch wenn das für sie massive finanzielle Einbußen bedeutete. Sie hatte drei Kinder großgezogen und im Unternehmen ihres Mannes mitgearbeitet, bekommt nur eine kleine Rente und hat selbst keine Rücklagen. Erst seit dem Tod ihres Mannes hat sie Anspruch auf Witwenrente, denn scheiden lassen haben sich die beiden nicht. Seitdem ist sie zumindest nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen. &bdquo;Ich habe nicht viel Geld, aber ich komme über die Runden“, sagt sie. Und wenn mal was anlag, hätten ihr auch ihre Kinder geholfen. Strukturelle Gründe für hohe Armutsrisiko von Frauen Dass das Risiko von Altersarmut für Frauen größer ist als für Männer, hat auch strukturelle Gründe. Beispielsweise gab es früher die Möglichkeit, sich bei Heirat bis dahin erworbene Rentenansprüche auszahlen zu lassen. &bdquo;Das habe ich auch gemacht – davon haben wir unsere Schlafzimmereinrichtung gekauft“, erzählt Christine. Auch das Ehegattensplitting wird von Experten immer wieder als Anreiz angeführt, dass in der Ehe ein Partner – meistens die Frau – weniger arbeitet. Minijobs beispielsweise, bei denen gar keine Beiträge für die Rentenversicherung gezahlt und entsprechend auch keine Ansprüche erworben werden, sind ein weiterer solcher Fehlanreiz, sagt Claudia Richter, Geschäftsführerin der Paderborner Senioreninitiative. Diese bietet unter anderem Alltagsbegleitung für Senioren an und betreibt das Café Tralala an der Riemekestraße. Dorthin kommen viele Rentnerinnen und Rentner, die Geselligkeit suchen, aber sich das Stück Kuchen im Café vielleicht nicht leisten können. Richter weiß, was Armut im Alter bedeutet, gerade für Frauen. Forderung: Ein neues Geschlechtermodell Zur Bekämpfung von Altersarmut bei Frauen fordert etwa der Sozialverband VdK in einem Positionspapier als wesentlichen Hebel, die Erwerbsarbeit von Frauen zu steigern, indem der Staat ein neues Geschlechtermodell etabliere, wonach Erwerbs- und Sorgearbeit gerecht aufgeteilt werden. Dazu fordert der VdK bessere Betreuungsangebote, ein Rückkehrrecht in Vollzeit, die Streichung des Ehegattensplittings, eine umfangreichere Anerkennung von Erziehungszeiten sowie den Erhalt der Witwenrente. &bdquo;Die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern muss beseitigt werden, das ist das Entscheidende“, findet auch Claudia Richter. Und was wünschen sich Annemarie und Christine? Anerkennung. &bdquo;Was uns als Frauen doch auszeichnet ist, dass wir zwei Jobs haben: Arbeit und Kindererziehung“, sagt Annemarie. Christine nickt: Nachdem sie tagsüber im Betrieb ihres Mannes arbeitete, hat sie abends gekocht, nachts das Haus geputzt, Wäsche gewaschen, gebügelt. &bdquo;Dafür hätten wir mehr Anerkennung verdient.“ Auch finanziell.

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